Elterncoach Käthi Zindel:

«Spannungen mit den Kindern sind lebensnotwendig»

Eltern sind in der Kindererziehung verunsichert. Sie schwanken zwischen Strenge und Überbehütung, wollen dem Kind das Beste geben und vergessen dabei sich selbst. Ein Gespräch mit Elterncoach Käthi Zindel über Erziehung und Familie.
Mutter schimpft mit ihrem Sohn (Symbolbild)
Käthi Zindel, Familiencoach

Frau Zindel, mit welchen Problemen haben Eltern heute hauptsächlich zu kämpfen?
Bei Eltern spürt man heute eine gewisse Verunsicherung. Mitunter durch das riesige Literaturangebot und sich widersprechende wissenschaftliche Studien. Viele Eltern geben alles für das Kind und vergessen dabei sich selber oder die Beziehung zum Partner. Klar, sie wollen es gut machen, doch beim Suchen nach Tipps und Tricks geht die eigene Intuition verloren. Auch haben Paare unterschiedliche Vorstellungen in der Erziehung und geraten in Machtkämpfe.

Woran liegt es, dass man es so besonders gut machen will?
Wer will das nicht? In unserer Gesellschaft gibt es eine Tendenz zur Optimierung aller Lebensbereiche. Noch besser, noch schneller, noch vollkommener. Auch leben wir in einer Gesellschaft, die dem Kind nichts Schwieriges zumuten möchte. Lustgewinn und Schmerzvermeidung ist die Maxime seit der 68er-Bewegung. Man will vermeiden, dass Kinder leiden müssen. Durch die Überbehütung sind sie für die Realität nicht gewappnet. Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sondern Eltern, auf die sie sich verlassen können, die Gaben und Grenzen haben. Sie sind eben auch unvollkommene Menschen.

Welche Auswirkungen hat diese Überbehütung?
Noch vor einer Generation wurde befohlen und gehorcht. Heute ist das Kind gleichwertig und von allem Anfang an eine Persönlichkeit, und das ist auch gut so. Doch oft kippt es nun auf die andere Seite. Es werden zu wenig Grenzen gesetzt und Kinder werden zu früh und zu viel in Entscheide einbezogen. Wenn ein Vollkommenheitsanspruch und Angst vor Fehlern das Klima der Familie bestimmt, wird das Familienleben verkrampft und kontrollierend. Kinder werden entmutigt oder sie werden zu den Befehlshabern der Familie. Mir begegnen viele Mütter, die sich ständig schuldig fühlen, weil sie meinen, sie hätten die Letztverantwortung für die Kinder. An dieser Last kann man sich erschöpfen.

Spannungen mit den Kindern sind also nicht schädlich?
Nein, sie sind lebensnotwendig! Sie machen das Leben aus. Wir müssen alle lernen, mit Druck, Widerstand und mit Andersartigkeit zu kooperieren. Wenn man das zu Hause lernen kann, ist das super.

Gibt man heute in dieser Charakterschule zu schnell auf?
Es ist eine Angst davor da. Oft durch die Trennungserfahrung der eigenen Eltern. Man steigt früher aus, weil man Verlieben mit Lieben verwechselt. Die Familie ist das wichtigste Trainingscamp für die Verantwortlichen von morgen. Lebt man da Treue, Verlässlichkeit, Durchhalten von Durststrecken, Vergebungsbereitschaft, Konfliktfähigkeit, Ergänzungsbereitschaft etc.? Ich mache Eltern Mut, die Herausforderungen durch die Geburt der Kinder anzunehmen. Wenig Schlaf, wenig Zeit, wenig Kraft für sich selber und den Partner – das ist belastend, doch eine grosse Chance, um in ein erfülltes und spannendes Leben zu wachsen! Gerade an dem, was mich am Partner stört, wachse ich. Wir wachsen zusammen, indem wir uns durch Krisen hindurch immer besser ergänzen anstatt zu bekämpfen, wir wachsen an den Kindern und sie an uns. Es geht dabei nicht um Perfektion, sondern um Beziehungsfähigkeit, Sinnerfüllung und Hingabe.

Sollte man vor den Kindern solche Konflikte austragen?
Wenn Eltern gelernt haben, sich konstruktiv zu messen, dann ist das für ein Kind sinnvoll. Die Frage ist, ob es darum geht, eine Lösung zu finden, oder darum, sich gegenseitig in einem Machtkampf fertigzumachen. Machtkämpfe sind nicht gut vor den Kindern. Eine unversöhnte Stimmung schadet. Aber das Ringen um eine Lösung und um Versöhnung ist ab einem gewissen Alter nicht schädlich. Bei einem Kleinkind macht es aber keinen Sinn, weil es das noch nicht verstehen kann.

Was passiert, wenn die Gottesbeziehung in einer Familie fehlt?
Wenn der Glaube nur ein theoretischer Überbau ist, der nichts mit dem Alltag zu tun hat, dann ist es fraglich, ob etwas fehlen würde. Anders ist es, wenn er befreiend wirkt, etwa wenn eine Mutter in ihrer Ungeduld und ihrem Stress entdeckt, dass da ein Impuls vom Heiligen Geist kommt, der sagt: «Hey, setze dich mal einen Moment hin und rede mit mir. Mach mal ein Time-out. Du musst im Moment gar nicht reagieren.» Dann ist Gott in die Beziehung involviert und bringt eine Gelassenheit hinein. Ich glaube, dass Gott aktiv zu Hilfe kommt, in einem Stossgebet, in einem kreativen Impuls oder durch Vergebung, sodass man nicht negative Erlebnisse innerlich hortet und plötzlich das Kind ablehnt. Das ist gelebter Glaube.

Wie kann man diesen Glauben vermitteln?
Mit wenigen Worten und mit vielen Erfahrungen im Alltag. Zum Beispiel das Kind annehmen, Barmherzigkeit üben, das Gute sehen und fördern, Vertrauen haben, ermutigen. Das sind göttliche Eigenschaften, die – ich jedenfalls – nicht einfach habe. Ich übe mich darin, meine unguten inneren Haltungen wahrzunehmen, diese Gott hinzuhalten und strecke mich aus nach den lebensfördernden Haltungen, welche ich gerade brauche. Dies gilt für alle Beziehungen. Auch in der Beziehung zum Kind gibt es viele alltägliche Situationen, in denen wir gemeinsam in der Beziehung zu Gott sein dürfen, wenn das Kind das will! Zum Beispiel kann man das Kind abends fragen: «Was hast du Gutes erlebt?» oder «Was hat dich traurig gemacht?» So bringt das Kind seine Freude und seinen Schmerz und erlebt Gottes Gegenwart. Das kann man vorleben, aber man kann das Kind nicht zu einem Gläubigen machen. Es wird dann selbst einmal entscheiden.

Worin liegt für Sie der Schlüssel einer guten Erziehung?
Es begeistert mich immer, wenn ich sehe, wie Eltern sich aufmachen, auf Gott zu horchen und ihn in die Familie einzuladen. Kinder sind geborgen unter dem Schutz Gottes und der Eltern. Er hilft den Eltern, ihren Platz und ihre Verantwortung zu übernehmen und ihre jeweilige Art einzubringen. Gott ist männlich und weiblich und hilft ihnen, sich zu ergänzen. Beide sind geschaffen nach seinem Ebenbild. Frauen meinen oft, sie wüssten wie es in der Erziehung läuft und Männer haben die Tendenz, sich aus der Verantwortung zu nehmen. Wenn Eltern als Ehepaar gut unterwegs sind und alles daran setzen, sich immer neu zu lieben und achten, dann ist das ein wichtiger Schlüssel guter Erziehung. Eltern können trotz schwierigen eigenen Kindheitserfahrungen gute Eltern werden! Und wir haben einen Gott, der aus unserem Unvermögen für die Kinder Heilung und Neues schaffen kann, das erleben wir auch selbst als Eltern.

Zur Person

Käthi Zindel (56) ist verheiratet mit Daniel Zindel und Mutter von vier erwachsenen Kindern. Die Lehrerin und Seelsorgerin leitet das Rhynerhus, eine Erziehungs- und Lebensberatungsstelle in Zizers GR. Das Angebot «Elterncoaching» besteht seit zehn Jahren. In Kursen können Eltern Entlastung erfahren und erneuerte, pädagogisch hilfreiche Haltungen und Handlungskompetenzen erlernen. Das Rhynerhus begleitet Väter, Mütter, Elternpaare, Ehepartner, ganze Familien, Generationen und Einzelpersonen.

Zur Webseite:
Beratungsstelle Rhynerhus

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Datum: 04.07.2015
Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: idea Spektrum

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