Vorurteile ent-lernen
Falls du dich betroffen fühlst und etwas gegen deine vorgefassten Meinungen sowie gegen vorschnelle Urteile unternehmen möchtest, solltest du sogleich starten.
In einem ersten Schritt geht es darum, die persönliche Haltung gegenüber den Menschen in deinem Umfeld zu korrigieren. Du kannst an jedem Tag von jedem Menschen etwas lernen, wenn du das möchtest.
In einem zweiten Schritt solltest du dir ein neues, dialogbasiertes Verhalten im Umgang mit anderen Menschen aneignen. Im Umgang mit anderen Menschen tendieren viele dazu, möglichst schnell ihre Themen und ihre eigene Sicht auf die Dinge kundzutun. Genau aus diesem Grund entwickeln sich immer wieder Missverständnisse, weil das Gegenüber sich und seine Meinung nun verteidigen muss, damit der Vorredner nicht die Überhand gewinnt.
Dialogbasiertes Verhalten
Echter Dialog beginnt jedoch mit Zuhören und nicht mit Sprechen. Ein dialogbasiertes Verhalten umfasst vier sich ergänzende Aspekte:
1. Zuhören: Was wurde gesagt?
2. Respektieren: Was habe ich gehört?
3. Bewusstsein schaffen: Was ist gemeint?
4. Tonfall: Was habe ich interpretiert?
Möglicherweise erscheint es dir auf den ersten Blick mühsam, Gespräche nach diesem Muster zu führen. Die schrittweise Anwendung macht dich mit der Zeit zu einem Meister. Beginne damit, anderen Menschen deine Aufmerksamkeit zu schenken und meinungsneutral zuzuhören. Das erzielt bereits eine enorme Wirkung.
Fällt es dir leicht oder schwer, an dir selbst zu arbeiten? Siehst du einen Gewinn darin, ein Leben lang dazuzulernen? Oder vermeidest du allzu grosse Bewegungen bezüglich Einstellung und hältst lieber an Bewährtem und Erfahrungen fest?
Augen und Ohren
Woher stammen vorgefasste Meinungen? Wie entstehen vorschnelle Urteile? Sie entstehen sowohl aus lückenhaften Informationen als auch aus inneren Haltungen heraus. «Der Herr hat uns Augen gegeben, um zu sehen, und Ohren, um zu hören» (Sprüche, Kapitel 20, Vers 12), damit wir uns ein umfassendes Bild zu einer Situation oder über eine Person machen können. Gott hat den Menschen zwei Augen und zwei Ohren, aber nur einen Mund gegeben; vermutlich, damit wir besser sehen und hören, aber weniger sprechen. Denn echter Dialog beginnt mit Zuhören und nicht mit Reden.
Doch die menschliche Urteilskraft wird immer wieder durch Äusserlichkeiten überlistet. «Dann lasst euch nicht vom Rang und Ansehen der Menschen beeindrucken! Stellt euch einmal vor, zu eurem Gottesdienst kommt ein vornehm gekleideter Mann mit goldenen Ringen an seinen Fingern. Zur selben Zeit kommt einer, der arm ist und schmutzige Kleidung trägt. Wie würdet ihr euch verhalten? Ihr würdet euch von dem Reichen beeindrucken lassen und ihm eifrig anbieten: 'Hier ist noch ein guter Platz für Sie!' Aber zu dem Armen würdet ihr sicherlich sagen: 'Bleib stehen oder setz dich neben meinem Stuhl auf den Fussboden.' Habt ihr da nicht mit zweierlei Mass gemessen und euch in eurem Urteil von menschlicher Eitelkeit leiten lassen?» (Jakobus, Kapitel 2, Verse 1–4).
Andere Massstäbe
Von aussen sind weder die Absichten noch die Motivation noch der Antrieb anderer Menschen klar zu erkennen. Wir sollten uns deshalb nach dem Vorbild Gottes darum bemühen, Menschen besser kennenzulernen: «Denn ich urteile nach anderen Massstäben als die Menschen. Für die Menschen ist wichtig, was sie mit den Augen wahrnehmen können; ich dagegen schaue jedem Menschen ins Herz» (1. Samuel, Kapitel 16, Vers 7). Da wir keine Gedanken lesen und auch nicht ins Herz anderer Menschen schauen können, ist es wichtig und fair, wenn wir immer wieder unvoreingenommen auf andere zugehen und ihnen zuhören, bevor wir uns eine Meinung bilden. Unvoreingenommenheit bedeutet, dass wir unsere vorgefassten Meinungen und unsere bisherigen Erfahrungen mit Situationen oder Menschen entweder beiseitelegen oder gänzlich ausblenden.
Unsere Erfahrungen sind uns in so vielen Dingen eine Hilfe. Doch sobald wir aufgehört haben, bewusst dazuzulernen, bleiben unsere früheren Erfahrungen und Meinungen die einzige Basis, auf der wir unsere Urteile aufbauen. Damit werden sie zu einer Last für eine weltoffene innere Haltung: «Urteilt nicht über andere, damit Gott euch nicht verurteilt. Denn so wie ihr jetzt andere richtet, werdet auch ihr gerichtet werden. Und mit dem Massstab, den ihr an andere anlegt, werdet ihr selbst gemessen werden. Warum siehst du jeden kleinen Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?» (Matthäus, Kapitel 7, Verse 1–3). Wer leichtfertig und salopp über andere urteilt, sollte es ertragen können, wenn jemand es wagt, ihm ebenfalls den Spiegel vorzuhalten.
Manchmal ist es ratsam, das Wissen vergangener Tage zu aktualisieren, frühere Erfahrungen zu entrümpeln und Vorurteile über Bord zu werfen. Dadurch entstehen erstens neue Kapazitäten für positive Begegnungen und zweitens frische, veränderte Erfahrungen. Es lohnt sich!
Dieser Text stammt aus dem Buch «Bibel Coaching» (Fontis-Verlag) von Philippe Hauenstein. Das Buch ist im Livenet-Shop erhältlich.
Zum Thema:
Glauben entdecken
Bibel Coaching
Coach Philippe Hauenstein: «Ich möchte das Herz der Menschen sehen»
Seelsorge im Linien-Bus: «Zuhören ist das Wichtigste»
Datum: 26.06.2022
Autor: Philippe Hauenstein
Quelle: Bibel Coaching / Fontis-Verlag