Vom Dilemma der christlichen Erziehung
Wissenschaftler der CVJM-Hochschule in Kassel und dem Studienzentrum Empirica untersuchten in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2016, wie Kinder in christlichen Familien aufwachsen. Professor Tobias Künkler (39) ist Erziehungswissenschaftler und Soziologe und arbeitet als Professor für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit an der CVJM-Hochschule. Am Wintertreffen der SEA-Arbeitsgemeinschaft Forum Ehe+Familie (FEF) vom 26. Januar in Zürich präsentierte er dem fachkundigen Publikum ermutigende Ergebnisse aus dieser Untersuchung. Rund 50 Mitglieder und Interessierte setzten sich in Vorträgen und Diskussionen damit auseinander.
Es gibt viel Positives
Christliche Familien sind laut der Studie quicklebendig und vital. Sie schaffen viel emotionale Wärme, vermitteln das Bild eines liebenden Gottes und pflegen lebendige Rituale. Christliche Väter und Mütter respektieren die Freiheit ihrer Kinder und sind sich bewusst, dass der Glaube nicht «gemacht» werden kann. Diese vertrauensvollen Eltern-Kind-Beziehungen sind optimale Voraussetzungen für die gesunde Entwicklung von Kindern. «Viele Kinder sind mit der Erziehung ihrer Eltern sogar derart zufrieden, dass sie es einst genauso machen wollen», sagte Künkler. Der gesellschaftliche Trend weg vom autoritativen Erziehungsstil habe sich nicht negativ auf christliche Familien ausgewirkt.
Druck durch Alternativlosigkeit
Dennoch befinde sich die christliche Erziehung in einem Dilemma, meinte der Erziehungswissenschaftler. Neben der wachsenden Freiheit sei die Furcht ein Bestandteil christlicher Familien. Etwa ein Viertel der Befragten ist uneindeutig bezüglich Gewalt gegenüber ihren Kindern. Aber nicht nur körperliche Strafen lösen Furcht aus. Für viele der befragten Eltern ist es sehr wichtig, dass die Kinder ihre Art des Glaubens übernehmen oder sich in sexualethischen Fragen (Sex vor der Ehe, Homosexualität) nach ihren Vorstellungen entwickeln. Damit werde das Kind vor eine «alternativlose Entscheidung» gestellt. Eine solche «einweisende Erziehung» setze Kinder unter Druck, sagte Künkler. Kinder wüssten oft sehr genau, was sie ihren Eltern Schlimmes antun würden, wenn sie beispielsweise in Glaubensfragen nicht ihren Eltern folgen. Soziologe Künkler: «So kann sich eine Identität ohne Glauben nur mit Schuldgefühlen entwickeln.» Zusammengefasst heisst das: Christliche Familien vermitteln viel emotionale Wärme. Eltern sollten jedoch nicht ihre Liebe aufkündigen, wenn Kinder in Sachen Glaube einen anderen Weg gehen.
Die «hinweisende Erziehung»
Künkler plädierte dafür, dass Kinder auch in der Familie andere Weltanschauungen kennenlernen sollten. Nur so könnten sie sich ohne Angst in einer pluralistischen Welt bewegen. Zudem solle man früh mit Kindern über Sexualität sprechen. Zu einer stimmigen Glaubenserziehung gehöre vor allem, dem Kind zu vermitteln, dass man es liebt, auch wenn es anders ist. Wer als Vater oder Mutter für seine Glaubensüberzeugungen wirbt und dem Kind Liebe vermittle, ungeachtet des Weges, den es wählt («hinweisende Erziehung»), der leiste einen grossen Beitrag, um dem Dilemma der christlichen Erziehung konstruktiv zu begegnen.
Übersicht über Ratgeber in Planung
Nach ausführlicher Fragenbeantwortung durch den Referenten wurden die Ergebnisse der Studie in vier Fachkreisen vertieft. Das Forum Ehe+Familie (FEF) ist eine Arbeitsgemeinschaft der Schweizerischen Evangelischen Allianz. In ihr haben sich über 30 verschiedene Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen zusammengeschlossen. Das FEF will Eltern in ihrer Erziehungsarbeit unterstützen. So informierte Martin Schnyder vom Leitungsteam über das Ausarbeiten einer Übersicht über das breite Spektrum an Erziehungsratgebern. Die nächste FEF-Tagung findet am 24. August in Aarau statt.
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Datum: 06.02.2018
Autor: Andi Bachmann-Roth
Quelle: idea Spektrum Schweiz