Hans-Ulrich Herrmann

Mein Leben für die grösste Sache: Gott

Hans-Ulrich Herrmann war 1964-92 der erste Pfarrer der evangelisch-reformierten Gellertkirche in Basel. Vorher war er Gemeindepfarrer in Brienz (1955-64) und Hasle-Rüeggsau (1952-55). Er ist verheiratet mit Heidi und hat drei erwachsene Töchter. Seit seiner Pensionierung engagiert er sich in der Gellertkirche als Leiter der Gruppe für pensionierte Männer, in diakonischen Hilfsaktionen (Weihnachtspäckli, Kleidersammlung), reist als Bibellehrer in die Ukraine oder nach Kirgisien, leitet Bibelwochen, ist gerngehörter Prediger in vielen Gemeinden und, und ... Gellertkirche: Wie haben Sie Gott kennengelernt?
Pfarrer Hans-Ulrich Herrmann

Hans-Ulrich Herrmann: Ich komme aus einer nichtkirchlichen Familie. Mein Vater ging nie in eine Kirche. Mutter ging hin und wieder. Nach einer langgezogenen Scheidung kam ich als Scheidungs­kind ins Waisenhaus nach Thun. Dort stellte ich mir, als ich etwa 14 Jahre alt war, die Frage: Wofür will ich mein Leben einsetzen? – Ich weiss noch genau, wo auf der Strasse das war, als ich innerlich plötzlich wusste: „Ich will mein Leben für die grösste Sache einsetzen!„ Und das ist Gott. Das wusste ich.

Nach dem Konfirmandenunterricht, der sehr spannend für mich war, ging ich in liturgische Abendgottesdienste, die unser Pfarrer anbot – mit gregorianischem Gesang und Kerzen. Dort packte es mich. Und ich entschied mich, Theologie zu studieren, denn ich wollte diesen Gott unbedingt besser kennenlernen.

Oft heisst es, dass ein Theologiestudent den „Kinderglauben„ ablegen müsse. Wie hat das Theologiestudium Ihr Gottesbild verändert?
Als ich studierte (1946-52) war an den Schweizer Universitäten eine fruchtbare Konstellation. Karl Barth dominierte als Theologe. In Bern, wo ich studierte, erlebte ich vor allem, wie sich die beiden Parteien, die „Positiven„ und die „Liberalen„ bekämpften und mir blieb nichts anderes übrig, als Stellung zu beziehen. – Ich selber hatte durch das Studium der Schrift und der Kirchengeschichte die Überzeugung gewonnen, dass ich diesem Gott und seiner Offenbarung in Christus trauen kann. Dennoch war es ein Wunder, dass ich in diesem Umfeld von Gehässigkeiten meinen Glauben in Christus nicht verloren habe.

Durch das Studium bei Karl Barth wurde mir der Horizont für die Grösse Gottes aufgerissen. Bei ihm lernte ich, dass wir Menschen im Grunde nichts wissen von Gott. Wir sind dazu viel zu klein – wenn Gott sich nicht in seinem Wort offenbart. Daher war für Barth auch das Zentrale die Beschäftigung mit der Bibel, weil man darin etwas von der Grösse Gottes erahnen kann.

Welcher Wesenszug an Gott war Ihnen als junger Christ besonders wichtig?
Drei Dinge sind mir wichtig gewesen: 1. Ich war beeindruckt von der Heiligkeit Gottes, die wir Menschen nie genau fassen können. Wir sind so gewohnt an das verunreinigte Leben, dass wir nicht wissen, was „Heiligkeit„ heisst. Heiligkeit, die gar nichts Böses erträgt. Mein Wunsch war, dem näher zu kommen: der Heiligkeit, der Grösse und der Unendlichkeit Gottes. Darum interessierte ich mich früh für Astronomie. – Je mehr man in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaft über das Universum entdeckt hat, um so mehr hat das biblische Gottesbild von der Ewigkeit und Unendlichkeit Gottes Gestalt angenommen. 2. Wichtig wurde mir auch, dass dieser Gott so gross ist, dass er auch das kleine Leben der sechs Milliarden Menschen kennt, ihre Gedanken und alles in unserem Leben. 3. Gott ist ein Gott, der uns eine Zukunft gibt im ewigen Leben, in seinem Reich.

Vor gut 50 Jahren haben Sie als Gemeindepfarrer Ihr erstes Amt angetreten. Hat sich gemäss Ihrer Beobachtung in der Zeit das Gottesbild in der reformierten Landeskirche verändert?
In all den Jahren erlebte ich die verschiedensten theologischen Strömungen, in denen versucht wurde, das Gottesbild an das so genannte moderne Denken anzupassen. Man redete von der Entmythologisierung des Christentums, die nötig sei. Ich war immer kritisch dieser Kritik gegenüber eingestellt. Später kamen der Reihe nach die politisch-marxistische Theologie, die „Tod Gottes„-Theologie, die psychologische Theologie von C.G. Jung. – So veränderte sich das Gottesbild alle paar Jahre.

Das Wesen Gottes lässt sich nie in Worte fassen. Was wir predigen ist immer nur ein sehr begrenzter Ausschnitt des Ganzen. Was denken Sie, kommt heute oft zu kurz, wenn in den Kirchen von Gott geredet wird?
Natürlich ist das von Gemeinde zu Gemeinde sehr verschieden. – Heute stehen mehr die menschlichen Bedürfnisse im Zentrum. Das ganz Andere, das Spröde, Harte des Wortes Gottes kommt zu wenig vor. Nach dem Wort: "Drücke Dich tief in meinen Sinn, wer du bist und was ich bin."

Gott, der gewaltige Schöpfer und Erlöser hat seine Ansprüche. Und wir Menschen überlegen uns nachher, ob wir ihm einen Gefallen tun möchten und ob wir seine Ansprüche allenfalls übernehmen möchten. – Zudem führt das Mitlaufen der Kirche mit den Trends unserer Zeit dazu, dass man sich stärker an der Welt orientiert und nicht an dem, was Gott in seinem Wort sagt.

In der Bibel hören wir von eindrücklichen Gottesbegegnungen. Haben Sie auch besondere Momente der Gottesbegegnung erfahren? In welchen Situationen war das?
In erster Linie bin ich Gott beim Bibellesen begegnet. Da trafen mich oft seine Worte. Manchmal haben sie mich auch gerichtet oder auch getröstet. – Daneben begegnete ich Gott in Naturerlebnissen und vor allem auch in Gebetserhörungen. In Brienz erlebten wir auch Heilungen von Kranken, die sehr bewegend waren.

Ein junger Mensch sagt: „Beweisen Sie mir Gott?„ – Was antworten Sie ihm?
Ich wurde oft von Konfirmanden so gefragt. Eine der Antworten, die ich gab, lautete: „Ein Naturwissenschaftler sagte einmal: Die Behauptung, dass die ganze Welt - Materie, die Entwicklung des Lebens etc. – Zufall sei, ist so unsinnig, wie wenn jemand erwartet, dass bei einer Explosion einer Bleisatz-Druckerei ein ganzes 20-bändiges Lexikon mit allem Wissen der Erde zufällig entstehen würde.„

Der stärkste „Beweis„ für Gottes Existenz ist Jesus. Was er sagt, was er lebt, wie er stirbt und dass er auferstanden ist, das ist das Zentrale. Ohne Auferstehung hätte es keine Gemeinde gegeben. Und dass es eine Gemeinde gab, die sich über die ganze Welt ausgebreitet hat, das muss einen Anfang haben. Die ersten Zeugen der Auferstehung starben alle eines gewaltsamen Todes.

Ein junger Mensch sagt: „Ich möchte gerne Gott persönlich kennenlernen?„ – Was antworten Sie ihm?
Ich kann nur wiederholen, wie ich selber Gott begegne: durch Bibellesen. Am besten mit Forscherblick gründlich lesen und dann vor allem alles sofort anwenden, was man verstanden hat.

Datum: 14.01.2004
Quelle: Teamwork

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