Neubeginn in einer Gesellschaft, die kaum zweite Chancen gibt
Gerade 17 Jahre alt ist Tatsuya Shindo, als er in die Yakuza, die japanische Mafia, einsteigt. Geblendet vom Reichtum und dem scheinbar so einfachen Leben der Mafiosi, möchte er es ebenfalls zu etwas bringen. «Ich war ein Kind, ich dachte nicht weiter darüber nach», gibt Tatsuya heute zu. «Ich bewunderte die Yakuza für das Oberflächliche. Sie haben viel Geld, verprassen es und leben im Glamour. Die bösen Jungs wirkten in meinen Augen so cool…»
Der Tod zum Greifen nahe
Doch schon bald lernt der junge Japaner die Wahrheit der Yakuza kennen. «Mein Chef wurde getötet. Leute kamen in Machtkämpfen ums Leben, wurden in die Beine geschossen. Ein Typ, der mit mir Drogen nahm, starb an einer Überdosis. Menschen nahmen sich das Leben. Ich habe viele Leute sterben sehen…»
Bald ist er von Crystal Meth abhängig. Als er unter Drogen mit dem Auto seines Chefs einen Unfall baut, wird ihm zur Strafe das oberste Glied seines kleinen Fingers abgeschnitten. Mit 22 Jahren landet er zum ersten Mal im Gefängnis, es folgen zwei weitere Haftaufenthalte. Mit 32 wird er schliesslich aus der Mafia geworfen, weil er acht von zehn Jahren hinter Gittern verbracht hat.
In Einzelhaft
Doch das Gefängnis ist der Ort, der sein Leben verändert. Hier, in Einzelhaft, gibt ihm jemand eine Bibel – und Shindo beginnt, sie zu lesen. Die Worte verändern ihn, geben ihm neue Hoffnung. Denn das Leben eines Ex-Mafioso ist in Japan nicht leicht. Abgeschnittene Finger, tätowierte Körperteile werden von der Gesellschaft verachtet, und so werden Ex-Yakuza-Anhänger ausgeschlossen, vielfach von der eigenen Familie verbannt. Aus diesem Grund landen viele in der Kleinkriminalität und bald wieder hinter Gittern oder sie nehmen sich das Leben.
Eine Entschuldigung und ein Neubeginn
Nicht so Tatsuya Shindo. Noch im Gefängnis übergibt er sein Leben Jesus Christus. Als er entlassen wird, geht er als erstes zu seiner Mutter, Yoshimi Shindo. Sie erinnert sich: «Er kam zurück, entschuldigte sich und sagte: 'Ich habe für dich überlebt, Mutter!' Als ich diese Worte hörte, entschied ich mich, das zu vergessen, was in der Vergangenheit geschehen war. Und heute bin ich sehr glücklich!»
Shindo studiert zunächst Theologie, wird dann Pastor. Als er nach einem Ort sucht, um einen ersten Sonntagsgottesdienst abzuhalten, bietet ihm seine Mutter die Kneipe an, die sie seit 25 Jahren geführt hat – und so wird die Bar «June Bride» zum Gotteshaus.
«June Bride»
Zunächst kommen nicht einmal zehn Leute zum Gottesdienst. Heute sind es an die 100, die sich jeden Sonntag hier treffen. Viele von ihnen sind Ex-Gangster oder Ex-Yakuza-Anhänger, denen die Gesellschaft eine zweite Chance verweigert. Doch hier finden sie Annahme, Liebe und eine neue Familie. «Viele Leute mit unterschiedlichen Hintergründen kommen hierher», berichtet der mittlerweile 44-jährige Pastor. «Manche sind geschieden, bankrott gegangen und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Manche Eltern haben Kinder verloren oder die Kinder sind im Gefängnis, anderen kamen aus dem Gefängnis und wurden von der eigenen Familie verlassen. Dies ist der Ort, um dein Leben neu zu beginnen!»
Gottes überraschendes Ende
So auch Hiro. Der 37-Jährige ist vor der Yakuza geflohen, wurde aber von seiner Familie verstossen. Heute schläft er im Gemeindegebäude und ist sich sicher, dass er ohne die Hilfe der Kirche schon wieder im Gefängnis wäre. «Aber mein neues Leben ist eine wichtige Phase für mich, damit ich ein besserer Mensch werde», erklärt der ehemalige Drogendealer. «Ich habe mich sehr verändert, seit ich in diese Gemeinde gekommen bin.» Und Hiro ist dankbar für diese Möglichkeit, denn er ist sich bewusst, dass die japanische Gesellschaft nicht einfach so eine zweite Chance vergibt.
«Früher waren wir in rivalisierenden Gangs und haben uns angeschossen. Heute preisen wir denselben Gott», predigt Pastor Shindo. Über 100 Personen hat er mittlerweile getauft, darunter auch seine Mutter. Und diese ist überglücklich: «Ich glaube, das Leben meines Sohnes verdeutlicht Gottes überraschendes Ende!»
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Datum: 08.04.2016
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet / CNN