Sein Arzt drängte, die Blindenschrift zu lernen
Schon als Schulbube hatte Fritz Bieri (*1961) Mühe, von der Wandtafel zu lesen. Seine Sehkraft war offensichtlich schwach. «Ich war zwischen 12 und 14, als ich unzählige Male für Untersuchungen ins Inselspital nach Bern musste.» Das Problem sollte in den folgenden Jahren noch sehr viel grösser werden.
Traumberuf: Landwirt
«Irgendwann gab es eine Brille», berichtet Fritz. «und irgendwie schaffte ich es sogar, Autofahren zu lernen.» Den obligatorischen Sehtest bestand er äusserst knapp. «Damals musste das Sehvermögen bei mindestens 60 Prozent liegen.» Auch seine Ausbildung zum Landwirt konnte er absolvieren. Er liebte diesen Beruf und ging davon aus, ein Leben lang als Landwirt zu arbeiten. «Wir hatten einen Bauernbetrieb, was damals eine gute Existenzgrundlage war.»
Die jährlichen Kontrollen seiner Augen zeigten, dass es beständig nach unten ging. Als Fritz 24 Jahre alt war, musste er den Fahrausweis abgeben. «Man sagte mir, ich solle nicht mehr als Bauer arbeiten, weil körperliche Anstrengungen meinen geschwächten Sehnerv gefährlich strapazieren. Das war ein sehr schlimmer Moment.» Dass er Fahrausweis und Traumjob aufgeben musste, setzte ihm zu und die Ungewissheit bezüglich seiner Zukunft quälte ihn. «Nicht zu wissen, wie es mit meinen Augen weiterging, war extrem schwierig.» Sein Augenarzt machte keine Hoffnung. «Mein Arzt empfahl dringend, möglichst schnell die Blindenschrift zu erlernen.»
Was jetzt?
Trotz Beratungsgesprächen fiel es Fritz schwer, sich auf einen neuen Beruf einzustellen. Nicht zu wissen, was er in wenigen Jahren noch zu tun in der Lage sein würde, war zermürbend. «Irgendwann kamen wir auf die Schiene von kaufmännischer Arbeit.» Es folgte eine höhere Handelsschule und ein entsprechendes Praktikum bei Coop. Aufgrund der Sehschwäche gestaltete sich die dreijährige Ausbildung als Herausforderung.
Bildschirme in Extragrösse ermöglichten Fritz das Arbeiten. «Um mein Arbeitspensum leisten zu können, musste ich jedoch jahrelang Überstunden leisten.» Im Jahr 2003 ging dies dann nicht mehr und er musste finanzielle Hilfeleistung in Anspruch nehmen. «Ich arbeitete sehr gerne und als ich einen Teil IV beziehen musste, war das schwer.» Damals war es für Männer nicht üblich, Teilzeit zu arbeiten. «Das war sehr hart. Ich habe sehr gelitten.» Sich in der Berufswelt als minderwertig zu sehen, traf Fritz empfindlich. Mit der Reduktion musste er auch Führungskompetenzen abgeben.
Das Gefühl, minderwertig zu sein
In diesen Jahren fühlte sich Fritz oft wie ein zerbrochener Krug. «Schon als Kind hatte ich den festen Glauben, dass es einen Gott gibt, der sich um mich kümmert.» Diese Gewissheit verwandelte depressive Zeiten immer wieder in Zeiten mit echter Lebensfreude. «Ich bin begeistert vom Leben,» sagt Fritz heute. Längst hat er bemerkt, dass viele Menschen unter Sorgen, geplatzten Träumen und Zukunftsängsten leiden. «Viele Menschen fühlen sich wie zerschlagene Krüge und sehen das eigene Leben in Trümmern.»
Fritz kennt das Gefühl, wenn jede Perspektive fehlt und man keinen Weg mehr sieht. Existenzielle Ängste sind ihm genauso vertraut, wie die Unsicherheit, ob und wann er erblinden würde. In alledem hat er Gott erfahren, der immer wieder Freude und Lebensperspektive schenkt. Heute freut sich Fritz, wenn er mit Menschen ins Gespräch kommen, ihnen Mut zusprechen und seinen Glauben mit ihnen teilen kann.
Buscafé: Menschen begegnen
«Als Teenager erzählte ich einem Nachbarn von meinem Glauben», blickt Fritz zurück. Jahre später sagte besagter Mann zu ihm: «Ich habe nie vergessen, was du mir damals erzählt hast.» Diese Rückmeldung löste bei Fritz etwas aus. Er wünschte sich, Menschen an seinem Glauben Anteil haben zu lassen, war aber zu schüchtern, um Leute anzusprechen. Sein Glaube wurde ihm aber zunehmend wertvoll.
«Ich lernte jemanden kennen, der regelmässig mit einem Buscafé unterwegs war. Mit dem mobilen Treffpunkt ist ein Team unterwegs, um Menschen Zeit, Wertschätzung, Respekt und Liebe zu schenken.» 2008 ging Fritz zum ersten Mal mit. Normalerweise sei dabei das Zuhören wichtiger als das Reden. Inzwischen ist Fritz eine Säule der Buscafé-Arbeit und durfte in unzähligen Gesprächen jemanden ermutigen.
Ein erfülltes Leben
Seit 1989 ist Fritz verheiratet mit Helene, die beiden haben zwei erwachsene Söhne. Entgegen ärztlicher Diagnose ist er bis heute nicht erblindet und er freut sich, trotz seiner Sehbehinderung noch bei Coop arbeiten zu können. Damit, dass dies nicht mehr zu 100 Prozent möglich ist, hadert er heute nicht mehr. Vielmehr sieht er die Möglichkeiten, die sich ihm bieten. Am liebsten ermutigt er Menschen und freut sich immer auf die Einsätze mit dem Buscafé. Trotz der geplatzten Träume und Einschränkungen in seinem Leben sagt Fritz überzeugt: «Gott hat mein Leben reich beschenkt!»
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Datum: 28.03.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Jesus.ch