Die unbekannten Seiten des C.S. Lewis
Die «Chroniken von Narnia», «Pardon, ich bin Christ», «Dienstanweisungen an einen Unterteufel», die «Perelandra»-Trilogie – mit Büchern wie diesen hat sich der britische Literaturwissenschaftler Clive Staples Lewis (1898-1963) bis heute in die Herzen vieler Menschen hineingeschrieben. Wenige Autoren des vergangenen Jahrhunderts haben mit ihrem Schreiben und Denken die Christenheit stärker beeinflusst.
Die Gnade der frühen Geburt
Lewis lebte vor der digitalen Revolution. Das bedeutet, dass von seinem umfangreichen Werk hauptsächlich das im Gedächtnis geblieben ist, was allgemeine Zustimmung gefunden hat, nicht das, was kontrovers diskutiert wurde. Zur Zeit von Facebook, Twitter und Co sieht das ganz anders aus. Hier sind es gerade die Kontroversen, die im Gedächtnis bleiben. Ein Wikipedia-Artikel ohne den Punkt «Kritik» wirkt immer etwas unvollständig.
Auch C. S. Lewis entwickelte nicht nur bis heute anerkannte Grundlagen für christliches Denken – wie seinen apologetischen Ansatz zum «Trilemma» über die Göttlichkeit von Jesus. Er vertrat durchaus auch Positionen, mit denen er es in der heutigen evangelikalen Szene schwer hätte. Manch ein Facebook-Theologe würde ihn dafür sicher auf den Index setzen. Aber welche unorthodoxen Gedanken hat der Autor verbreitet? Und warum ist es gut, dass sie seinen Ruf nicht schmälern?
Keine Festlegung zur Schöpfung
Bereits vor seiner Bekehrung äusserte sich Lewis skeptisch gegenüber Darwins Evolutionstheorien. Auch danach wandte er sich oft dagegen. Allerdings lehnte er es strikt ab, das Vorwort zu einem Anti-Evolutions-Buch zu verfassen. Und in seinem Buch «Über den Schmerz» schrieb er unter anderem: «Über die Jahrhunderte hinweg perfektionierte Gott die Tierwelt, die der Träger der Menschheit und seines Ebenbildes werden sollte … Als die Zeit erfüllt war, kam Gott herab in diesen Organismus, in seine Psyche und seinen Körper, und erzeugte damit ein neues Bewusstsein, was 'Ich' sagen konnte.»
Was C. S. Lewis genau glaubte, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass er eine wörtliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte nicht als Grundpfeiler der Erlösung ansah.
Ein «einschliessendes» Evangelium
In «Der letzte Kampf», dem abschliessenden Teil der Narnia-Bücher, begegnet uns Emeth. Dieser hat sein ganzes Leben lang den falschen Gott Tash angebetet und nicht Aslan – Narnias Verkörperung von Christus. Doch als Emeth am Schluss vor Aslan steht, entspinnt sich folgender Dialog: «Sohn, sei mir willkommen. – Du Gewaltiger, ich bin nicht dein Sohn, sondern ein Diener des Tash! – Kind, allen Dienst, den du Tash geleistet hast, rechne ich dir als Dienst an, der mir galt.» Und Aslan ergänzt noch: «Ohne dein Verlangen hättest du niemals so gesucht. Denn alle finden, was sie getreulich suchen.»
Lewis unterstrich deutlich, dass er damit nicht direkt Allversöhnung meinte, doch seine Auffassung von Rettung ist trotzdem deutlich weiter als das, was in vielen evangelikalen Kreisen gelehrt wird.
Keine unfehlbare Bibel
Für Lewis war die Bibel Gottes Wort, doch er hielt nicht jedes Detail darin für wörtlich inspiriert. In einem Brief hielt er fest, dass die meisten Christen «immer noch glauben (so wie ich auch), dass die ganze Bibel in gewissem Sinn Wort Gottes ist – aber nicht alle Teile im gleichen Masse… Das Ergebnis ist nicht 'Gottes Wort' in der Art, dass jeder Abschnitt darin an sich wissenschaftlich und historisch unfehlbar ist. Die Bibel beinhaltet Gottes Wort und wir empfangen (durch Gnade, durch das Beachten von Tradition und Auslegern, die weiser sind als wir, und den Gebrauch unserer ganzen Intelligenz) das Wort daraus, indem wir sie nicht als Lexikon oder Enzyklika gebrauchen, sondern in ihren Klang und ihr Wesen eintauchen und so ihre gesamte Botschaft lernen.»
Und nun?
Wer sich jetzt innerlich zurücklehnt und entrüstet feststellt: «Herr Lewis, das hätte ich nie von Ihnen erwartet. Jetzt kann ich Ihnen die ganzen anderen brillanten Gedanken gar nicht mehr abnehmen …», der übersieht ein paar entscheidende Punkte:
- Wir sehen bei Autoren wie ihm immer nur eine Auffassung und nicht, wie sich ihre Meinung weiterentwickelt hat. Wie uns selbst sollten wir auch C. S. Lewis zugestehen, seine Meinung zu ändern.
- Wir vergessen schnell, dass wir alle Kinder unserer Zeit sind. Natürlich lächeln wir heute über manche 50 Jahre alte Gedanken – dasselbe werden in 50 Jahren Menschen mit einigen unserer Gedanken auch tun.
- Jeder hat seine blinden Flecke. Egal, wie brillant wir denken, es wird Bereiche geben, die wir falsch einschätzen. Das gilt für C. S. Lewis wie für uns. Und es bedeutet nicht, dass alles, was wir gedacht haben, weniger wert ist.
- Wissen entfaltet sich in der Diskussion. Es gab früher und es gibt heute unterschiedliche Meinungen zu vielen Fragen. Manche scheinen sich erst wohlzufühlen, wenn eine gewisse Uniformität des Denkens erreicht ist. Dabei ist Glaube doch schon immer «bunt» gewesen. «Herr Lewis, danke für Ihre Anregungen!»
Datum: 08.12.2014
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Relevant Magazine