Armeeseelsorger John Weber

«Die Armee braucht Christen»

Rund 7000 junge Schweizer rücken am 4. Juli in die Rekrutenschule ein. Ebenfalls dabei ist Pfarrer John Weber aus Huttwil. Der 40-jährige Armeeseelsorger macht auch mit den zahlreichen Muslimen in der RS gute Erfahrungen. Überzeugte Christen in Uniform trifft er eher wenige.
John Weber
John Weber: «Die Schweizer Armee vertritt Werte, die ich als Christ sehr wohl vertreten kann.»

John Weber, was ist Ihre Hauptaufgabe als Armeeseelsorger?
John Weber: Es ist die Seelsorge in einem sehr umfassenden Sinn. Wir sind ja ökumenisch organisiert und unterscheiden nicht zwischen katholisch und reformiert. Zunehmend wirken wir auch interreligiös. Unsere Seelsorge versteht sich in Sinne eines niederschwelligen Gesprächs. Wir wollen den Rekruten und Offizieren Gesprächspartner sein. Dabei kann es um religiöse Frage gehen. Vor allem aber geht es um zwischenmenschliche und zivile Fragen, oft auch um familiäre Probleme. Die Armee hat ein Interesse daran, dass es seinen Dienstleistenden gut geht und dass sie nicht von zivilen Problemen erdrückt werden. Viele Rekruten rücken auch ziemlich unvorbereitet ein.

Was erfüllt Sie persönlich bei dieser Aufgabe?
Ich erlebe viele spannende menschliche Begegnungen. Ich treffe Leute, mit denen ich sonst als Pfarrer kaum ins Gespräch käme. In den Rekrutenschulen (RS) erlebe ich eine Art Fortsetzung des kirchlichen Unterrichts. Die Lebenswelt der Rekruten ist ja noch sehr ähnlich wie diejenige der 16-jährigen Konfirmanden. Auf der anderen Seite treffe ich auf die Kader, die Berufsmilitärs, also auf erfahrene, starke Männer mit Führungsanspruch. Auch dieses Milieu kommt sonst nicht unbedingt zu mir in den Gottesdienst.

Wie oft werden Sie in einer RS beansprucht?
Während einer RS gibt es in der Regel drei organisierte Begegnungen mit den Rekruten: am Anfang, in der Mitte und am Schluss, also in der 2., der 7. und der 15. Woche. Häufig gibt es nach diesen Begegnungen Anfragen für Einzelgespräche, sowohl von Rekruten wie auch von Unteroffizieren oder Offizieren. Es läuft ähnlich wie in der zivilen Kirchgemeinde: Man muss zuerst Vertrauen aufbauen und sich vor Ort «zeigen», bevor die Leute das Gespräch suchen.

Besinnungen oder Gottesdienste bieten Sie nicht an?
Eigentlich nicht mehr. Wir sind wegen der religiösen Vielfalt der Truppe davon abgekommen. Ein Instrument von mir kann ein «Wort zum Tag» sein. Ich richte vor dem Antrittsverlesen ein Wort von drei bis fünf Minuten an die Truppe, im Idealfall zweisprachig. Ich versuche, ein aufbauendes Wort zu entfalten. Das kann auch einmal ein biblisches Wort sein, das aber allgemein verständlich sein muss. Die heutige Generation der Militärdienstleistenden könnte eine kirchliche Sprache gar nicht mehr verstehen. Aber auch in den erwähnten organisierten Lektionen nehme ich mir die Freiheit, in den letzten zehn Minuten noch einen christlichen Impuls zu bieten. Im März konnte ich zum Beispiel auf das Geschehen von Ostern hinweisen.

Was heisst es für Sie, wenn Sie der multireligiösen Zusammensetzung der Truppe Beachtung schenken müssen, wie es in Ihrem Handbuch heisst?
Das heisst zuerst einmal, dass ich das Christsein nicht konfessionell eng fasse. Ich bin da nicht in erster Linie reformierter Pfarrer, sondern einfach einmal Christ. Das Interreligiöse äussert sich vor allem durch die Präsenz von Muslimen. Das ist heute mit Abstand die grösste nichtchristliche Gruppe.

Wie gross ist dieser Anteil?
Das sind heute vermutlich mehr als 10 Prozent der Rekruten. Die Armee fragt aber nicht nach der Religion. Für uns gilt das Dienstreglement. Und da spielt der Respekt vor allen Religionen eine grosse Rolle. Deshalb nehme ich mehr das allgemeine Menschsein als Ausgangslage.

Welche Erfahrungen machen Sie mit Muslimen?
Keine negativen. In Genf besuche ich mit Rekruten die Kathedrale, und die Beförderungsfeiern der Rettungstruppen finden im ehemaligen Kloster St. Urban bei Langenthal statt. Dann erkundigen sich Muslime manchmal, ob das eine Kirche sei. Ich bestätige dies jeweils, sage aber auch, dass es sich um keinen gottesdienstlichen Anlass handelt. Ich sage ihnen auch, sie könnten hinausgehen, wenn sie sich unwohl fühlen sollten. Meistens finden sie unsere Feiern in diesen Kirchenräumen doch sehr spannend. Ich stelle überhaupt fest, dass diejenigen Muslime, die in der Armee Dienst leisten, sehr integrationswillig sind. Sie zeigen in der Regel sogar einen höheren Patriotismus als der Durchschnittsschweizer. Sie haben ganz allgemein einen hohen Respekt vor Gott und vor dem Religiösen und darum auch Respekt vor mir als Vertreter des Religiösen. Häufig ergeben sich daraus auf einer niederschwelligen Ebene interessante Kontakte.

Können Muslime in der RS ihre täglichen Gebetszeiten wahrnehmen?
Sie können ihre fünf täglichen Gebete am Abend nachholen. Die Armee bietet ihnen diese Möglichkeit nach Feierabend und einzelne machen davon Gebrauch. Aber es gibt auch viele säkular orientierte Muslime, die das nicht machen. Beim Essen hingegen achten alle Muslime darauf, dass sie kein Schweinefleisch zu sich nehmen. Da bietet die Armee heute gute Alternativen, auch für Vegetarier.

Wie kommt es, dass es in einer RS offensichtlich mehr überzeugte Muslime als überzeugte Christen gibt?
Wenn man sich in christlichen Jugendgruppen umhört, stellt man fest, dass viel mehr über den Zivildienst gesprochen wird. Man sieht dort mehr Sinn und meint, der Zivildienst bringe einem persönlich mehr. Man kann mit Behinderten oder mit alten Menschen arbeiten, man kann sogar ins Ausland reisen. Das wirkt sich dann auf die Zusammensetzung der Armee aus. Unter den Rekruten kann ich die überzeugten Christen manchmal am 4-Punkte-Bändeli von Campus für Christus am Handgelenk erkennen. Es freut mich natürlich, wenn ich solche Christen sehe. Wir brauchen sie in der Armee. Aber es sind relativ wenige.

Viele überzeugte Christen leisten keinen Militärdienst mehr. Welches ist für Sie als Pfarrer das Hauptargument für die Armee?
Zuerst sage ich einem jungen Christen: Komm einmal aus deinem frommen Ghetto heraus und lerne in der Armee die ganze Breite der Gesellschaft kennen! Du wirst da auch deinen persönlichen Horizont stark erweitern. Ich habe auch mit der Waffe kein Problem. Die Waffe selber ist ja weder gut noch böse. Es kommt ganz darauf an, wie sie eingesetzt wird. Die Schweizer Armee dient dem staatlichen Gewaltmonopol, das für Ordnung und Sicherheit sorgt. Aber man kann da als Christ unterschiedlicher Meinung sein.

«Wer das Schwert nimmt, soll mit dem Schwert umkommen», sagt Jesus. Ist dies kein starkes Argument für den Zivildienst und gegen die Armee?
Da möchte ich mit Dietrich Bonhoeffer kontern. Man wird so oder so schuldig. Es ist so: Wer das Sturmgewehr nimmt, riskiert auch, mit dem Sturmgewehr umgebracht zu werden. Doch man kann auch schuldig werden, wenn man in einer bestimmten Situation nicht versucht, schutzlose Menschen zu verteidigen. Was hat denn der Pazifismus dem IS-Terrorismus entgegenzusetzen?

Zum Thema:
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Datum: 01.07.2016
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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