Der künftige deutsche Bundespräsident lebt seinen Glauben
Mit dem überraschenden Ja der Unionsparteien zu Frank-Walter Steinmeier erscheint seine Wahl zum 12. Bundespräsidenten im Februar als so gut wie sicher, denn SPD und CDU/CSU verfügen über etwa dreiviertel der Stimmen in der Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt.
«Ich lebe meinen Glauben»
Anfang letzten Jahres sprach Steinmeier vor Studenten der El Manar-Universität in Tunis über das Verhältnis von Gesellschaft und Religion und äusserte sich auch persönlich: «Denn auch ich selbst lebe meinen Glauben. Ich bin Christ und bin in der protestantischen Kirche aktiv. Und natürlich hat mein Christstein mit meinem Handeln in der Gesellschaft zu tun: Meine Religion gebe ich ja nicht an der Garderobe ab, wenn ich morgens in mein Büro gehe.»
Engagement für den Kirchentag
Frank-Walter Steinmeier ist Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages und wurde zum Präsidenten des Kirchentages 2019 in Dortmund gewählt. Diese Funktion wird er kaum wahrnehmen können, wenn er im Februar tatsächlich zum Bundespräsidenten gewählt werden wird.
Gegenüber der Wochenzeitung «Die Zeit» äusserte er sich erschrocken über die Anfeindungen, die er erlebt, wenn er in Facebook über sein kirchliches Engagement berichtet: «Die Reaktionen sind oft von erschreckender Ablehnung, ja Abfälligkeit. Viele denken, Religion gehört nach Hause und nicht in die Politik.»
«Warum gerade meine Frau?»
2010 erkrankte seine Frau Elke Büdenbender schwer. Steinmeier spendete eine seiner Nieren für sie. In dieser Situation habe er nicht nur gute Gedanken über Gott gehabt. «Es gab Tage, da habe ich mit dem lieben Gott gehadert. Natürlich habe ich mich, als wir die Nachricht vom lebensbedrohlichen Gesundheitszustand meiner Frau bekamen, gefragt: Warum muss es gerade uns, warum gerade meine Frau treffen. Nachdem alles vorüber ist, bin ich aber dankbar, dass da eine schützende Hand über uns war.»
Seine Frau kommt aus einer katholischen Familie, Frank-Walter Steinmeier aus der evangelisch-reformierten Kirche. Beide betonen, dass in ihrem Zuhause der Glaube wichtig und prägend war. Umso mehr leiden die beiden an der Trennung der christlichen Kirchen, das Miteinander der Christen ist ihnen ein wichtiges Anliegen.
Im Sommer erhielt Frank-Walter Steinmeier als erster Protestant den Ökumene-Preis der Katholischen Akademie in Bayern. In seiner Danksagung würdigte er die Kirchen als «Vorreiter der Idee», Verschiedenheit zu versöhnen. Diese friedliche Vielfalt der Kirchen könne ein Beispiel sein für das gesellschaftliche Miteinander in Europa.
Bibel war ihm früher ferner
Steinmeier räumt ein, dass ihm die Bibel heute näher ist als in den letzten Jahrzehnten. «Wenn das wieder intensiver geworden ist, dann hängt das damit zusammen, dass im Laufe eines Lebens Gewissheit wächst über die Wichtigkeit eines Gottes, der stärkt und schützt, der Orientierung und Halt gibt und der verzeiht.»
Was seinen Glauben angeht, könne er nicht von einem persönlichen «Erweckungs- oder Wiedererweckungserlebnis» berichten. Dass ihm der Glaube wichtiger geworden sei, resultiere eher aus einer ernsthafteren Lebenseinstellung und zunehmender Veranwtortung. «Da, wo das eigene Leben Grenzsituationen erfährt – besonders glückliche oder besonders besorgniserregende – da spürt man stärker, woran man glaubt.»
Mann des Ausgleichs
Dass nach längerem parteipolitisch bestimmten Hin und Her Frank-Walter Steinmeier das höchste Amt des Staates einnehmen wird, hat viel mit der derzeitigen politischen Situation zu tun, wie sie sich aus deutscher Brille darstellt: Eine schwache Europäische Union mit Auflösungstendenzen, die Zunahme rechts-populistischer Parteien und eine sehr starke Verunsicherung, die mit der Wahl des neuen US-Präsidenten Donald Trump einhergeht. In dieser Lage erscheint es wichtiger, gemeinsam einen erfahrenen Politiker zu wählen, als unbedingt einen eigenen Partei-Kandidaten durchzubringen. Obwohl Steinmeier ein Politikprofi ist, erscheint er als ein Mann des Ausgleichs, der weit über seine Partei Ansehen geniesst.
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Datum: 15.11.2016
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet / Chrismon / Die Zeit