Faktencheck Christentum

Enthält die Bibel wirklich 101 Fehler?

Eine aufgeschlagene Lederbibel
101 Widersprüche will Scheich Shabir Ally aus Kanada in der Bibel gefunden haben. Sehr originell sind sie allerdings nicht. Die meisten hat er einfach von liberalen europäischen Theologen abgeschrieben. Gedanken dazu von Kurt Beutler.

Als junger Student hatte ich an der evangelischen Fakultät der Uni Bern zu Füssen genau derartiger Professoren gesessen. Doch jene liberalen Theologen arbeiteten mit ganz anderen Voraussetzungen als Scheich Shabir. Als verspätete Kinder einer falsch verstandenen Aufklärung gingen sie davon aus, dass es Wunder prinzipiell nicht gibt, nicht geben darf. Einer meiner Professoren glaubte sogar nicht einmal an Gott. Die Liebe, so erklärte er, sei Gott. Seiner Meinung nach war das Wort «Gott» einfach ein Symbol für die Liebe und die ganzen Wundererzählungen der Bibel Symbole für das ungebildete Volk des Altertums.

Wundergeschichten entmystifizieren?

Bevor sie überhaupt die Bibel lasen, hatten sie also schon beschlossen, dass diese keine Wunder enthalten könne. Mit grosser Überheblichkeit erklärten sie alle Menschen des Altertums zu wundersüchtigen Phantasten, welche unfähig gewesen sein sollen, Wahrheiten in normalen Worten aufzunehmen. Ihretwillen seien ganz normale irdische Ereignisse als Mythengeschichten verpackt worden. Alle diese Wundergeschichten müssten also symbolisch zu verstehen sein und nun wieder «entmystifiziert» werden.

Eine derartige Vergewaltigung der Bibeltexte, welche ja fast auf jeder Seite von Wundern erzählt, hat aber mit Wissenschaft nichts zu tun. Denn echte Wissenschaft geht ohne Vorurteile an die Vergangenheit heran. Sie beobachtet und beschreibt zuerst einmal. Prinzipiell gibt es nichts, was von vornherein als unmöglich erklärt werden darf, auch wenn es noch so viele Phänomene gibt, welche die Wissenschaft bis heute nicht erklären kann.

Sie messen mit unterschiedlichen Massen

Der zweite Fehler jener liberalen Theologen war, dass sie jedes Dokument des Altertums ernst nahmen, ausser die Bibel selber. Wer aber den Inhalt jener alten Schriften miteinander vergleicht, merkt bald, dass sie meisten Texte des Altertums nichts als Propaganda damaliger Herrscher enthielten. Die Bibel ist unter ihnen einzigartig darin, dass sie auch die Fehler der eigenen Helden und des eigenen Volkes ehrlich beschreibt, und schon alleine damit nicht weniger, sondern mehr glaubwürdig wird.

Theologe Kurt Beutler

Scheich Shabir Ally würde mit mir darin übereinstimmen, dass es Wunder gibt. Umso mehr verwundert mich, dass er von liberalen Theologen kopiert. Während nämlich seine und meine Weltanschauung manche Ähnlichkeit enthalten, sind jene ihm total fern. Wenn er überlegen würde, was diese zum Koran und den anderen, noch späteren islamischen Schriften sagen, dann würde er sich an den Kopf schlagen. Wer schon der Bibel kaum glaubt, obwohl sie zeitnah zu den alten Propheten geschrieben wurde, der zerreisst den Koran erst recht, welcher grösstenteils Geschichten über Menschen enthält, welche Tausende von Jahren früher lebten.

Widersprüche aufgrund von Unwissen

Die 101 vermeintlichen Widersprüche in der Bibel sind übrigens nicht nur wenig originell, sondern sind grossenteils auf kulturelles Unverständnis und fehlende Bereitschaft zurückzuführen, sich mit den damaligen Umständen auseinander zu setzen. Oft fehlt das Wissen um Zusammenhänge, oder man geht mit falschen Voraussetzungen an die Sache hin. So benennt die Bibel die jüdischen Könige und ihre Familienmitglieder nicht immer nur mit Eigennamen, sondern manchmal auch mit Titeln oder mit Namen von besonders ehrenhaften Vorfahren, so wie es bis heute im Nahen Osten geschehen kann.

Scheinbar widersprüchliche Jahreszahlen können daher stammen, dass von unterschiedlichen Zeitpunkten an gezählt wurde. Andersartige Angaben zur Menge von Soldaten können verstanden werden, wenn man weiss, dass einmal alle kriegserfahrenen Männer gezählt werden und an einer anderen Stelle auch die Neulinge eingeschlossen werden, etc. Hier können die Antworten zu allen 101 Fragen eingesehen werden.

Wenn man derart fanatisch nach Widersprüchen sucht, kann man in jedem Buch Unstimmigkeiten finden, und ganz besonders im Koran, oder zwischen Sira, Hadithen und Koran. Doch die Bibel besteht aus 66 Teilen, welche von über 40 Autoren stammen, die zu ganz verschiedenen Zeiten lebten. Anstatt nach Unstimmigkeiten zu suchen, staune ich über die Kontinuität, die verblüffende Logik und Originalität. Und vor allem darüber, wie die Bibel die Welt verändert hat. Und mein Respekt wächst mit jeder Entdeckung.

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Datum: 17.04.2023
Autor: Kurt Beutler
Quelle: Livenet

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