Kirchen zur Innovation gezwungen
Thomas Schaufelberger ist verantwortlich für Kircheninnovation bei der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Peter Schneeberger ist Präsident von «Freikirchen.ch». Beide sind sich einig, dass Kirchen angesichts fortschreitender Säkularisierung der Gesellschaft neue Wege suchen müssen. Das Gespräch bringt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede ans Licht, wie Landes- und Freikirchen solche Innovation verstehen.
Landeskirche: Innovationslust und Begegnungszentren
Thomas Schaufelberger hält fest, dass heute – etwa noch im Gegensatz zu vor fünf Jahren – eine deutlich grössere Offenheit für Neues und mehr Innovationslust in der reformierten Kirche vorhanden ist. Er verweist auf die drängenden Fragen, denen sich die Landeskirchen gegenüber sehen; seine Stichworte: Zeitgemässe Gottesdienste, Umnutzung von Kirchengebäuden, Jugendliche – und der Zugang zu den 90 Prozent «kirchenabstinenten» Mitgliedern.
Was die Kirchengebäude anbetrifft, hat die Zürcher Kirche Projekte laufen, bis 2030 an 23 Orten neue Begegnungszentren zu gründen. Dazu wolle die Landeskirche «offen und ohne Vorgaben» auf die Menschen zugehen, die nicht mehr in die Kirche gehen, und erfragen, was sie beschäftige.
Schaufelberger: «Es ist ein ein hartes Stück Arbeit, einfach zuzuhören und nicht schon die Antworten zu wissen, sondern einfach so lange zuzuhören, bis sich etwas entwickelt.»
Freikirchen: Neugründungen und neue Formen
Peter Schneeberger weist darauf hin, dass die Freikirchen, aufs Ganze gesehen, keine Mitglieder verlieren und sogar leicht wachsen. Sie setzen auf Neugründungen, von denen in den letzten drei Jahren 22 angepackt wurden, nicht zuletzt in neuen Agglomerationen. Dazu kommt eine deutliche «Internationalisierung» der Gottesdienste. Und es gibt innovative Formen, beispielsweise die Kombination von Gottesdienst und öffentlichem Café. Vor allem aber ist Schneeberger überzeugt: «Ehrenamtliche sind das grösste Geheimnis der Freikirchen.»
Auf die Unterschiede zwischen Landes- und Freikirchen angesprochen, betonen beide Gesprächspartner erst einmal das Gemeinsame: der christliche Glaube wird eine Minderheits-Position, das vereint und zwingt zum «Hinausgehen». Während Peter Schneeberger die Bindung an Christus als zentrales Motiv aller Freikirchen betont, setzt Thomas Schaufelberger mehr auf die «Offenheit» für die grosse Mehrheit, die auf einen traditionell christlichen Glauben nicht (mehr) ansprechbar ist.
Gottesdienst ist «Qualitätsprodukt»
Beide Kirchenformen wollen auf den Gottesdienst nicht verzichten. Dass substantiell mehr Menschen in die Gottesdienste zu bringen sind, erwartet Thomas Schaufelberger nicht; aber: «Der reformierte Gottesdienst ist ein Qualitätsprodukt, das zwar nicht viele unserer Mitglieder regelmässig nutzen, aber er ist ein zentrales Element unserer DNA.» «Fresh Expressions» habe z.B. wichtige Impulse für neue Gottesdienstformen gegeben.
Schneeberger fragt seinen reformierten Gesprächspartner offen: «Wie ernst nehmt ihr den Gottesdienst noch? Evangelikal geprägte Landeskirchen bleiben auf einem guten Gottesdienststand. Die Frage ist: Warum stellt man das nicht mehr in den Vordergrund?» Schaufelberger dazu: «In der Landeskirche hat es theologisch mehr Raum für ganz andere Zugänge. Die Freikirchen können ungefähr 2 Prozent der Bevölkerung mit ihrem Verständnis des Glaubens gewinnen. Aber es gibt ganz andere Verständnisse. Der Geist Gottes wirkt halt auf ganz unterschiedliche Art den Menschen.» Auch Diakonie sei z.B. eine Art der Verkündigung.
Was die Freikirchen betrifft, will Schneeberger die drei Grundstrukturen «Ausbildungsstätten – Werke – Gemeinden» in Zukunft mehr zusammenbringen; vor allem setzt er den Akzent aber weiter auf Neugründungen: «In den nächsten Jahren brauchen wir eine ganz neue Welle von neuen Pastorinnen und Pastoren, mit denen wir neue Kirchen gründen wollen. Wir wollen weiter gründen, das bleibt ein zentrales Ziel für die nächsten Jahre.»
Sehen Sie sich den Livenet-Talk mit Peter Schneeberger und Thomas Schaufelberger an:
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Datum: 02.03.2023
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Livenet