Mahnmale vor Kirchen als Protest gegen Flüchtlingspolitik
Am Wochenende vom 19./20. Juni 2021 wollen die Initianten der Aktion «Beim Namen nennen» die Namen all jener Menschen lesen, die auf dem Weg nach Europa gestorben sind. Seit 1993 sind es mehr als 44'000. Imposante Mahnmäler wie jenes bei der Heiliggeistkirche in Bern (siehe Titelbild oben) kündigen dies bereits an.
Katastrophale Ereignisse im zentralen Mittelmeer
Weltweit sind laut UNHCR über 80 Millionen Menschen auf der Flucht. Hunderttausende Menschen leben aktuell an den Aussengrenzen Europas und in Nordafrika in menschenunwürdigen Verhältnissen. Die Corona-Pandemie verschärft die Situation zusätzlich.
In der Schweiz kaum wahrgenommen, spitzt sich die humanitäre Lage im zentralen Mittelmeer weiter zu. So berichtet die Seenotrettungsorganisation «SOS Mediterranee» von ihrem letzten Einsatz Ende April von katastrophalen Ereignissen: ein Schiffsunglück am 22. April mit rund 130 Todesopfern, die Rettung von 236 Menschen aus zwei seeuntauglichen Schlauchbooten am 27. April (darunter 119 unbegleitete Minderjährige) und mehrere Rückführungen von in Seenot geratenen Booten durch die libysche Küstenwache. Die europäischen Staaten zeigen sich nicht in der Lage, eine gemeinsame Lösung im Bereich der Migration zu finden, kritisiert die Aktion «Beim Namen nennen».
Stadtberner Initiative zieht immer weitere Kreise
Bei dieser Protestaktion «Beim Namen nennen» macht Andreas Nufer von der Ref. Kirchgemeinde Heiliggeist in Bern an vorderster Front mit. Bern war 2019 Geburtsort der Aktion, wie Pfarrer Nufer auf Anfrage von Livenet berichtet. «Wir haben die Aktion 2019 in Bern konzipiert und zum ersten Mal durchgeführt. Sie fand dann gleichzeitig auch im Offenen St. Jakob in Zürich statt, im kleinen Rahmen. Seit dann fragen immer mehr Städte, ob sie die Aktion auch durchführen können. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir gemeinsam auftreten. Von Bern aus koordinieren wir nun die schweizweite Aktion.»
Wir fragten beim Berner Pfarrer Andreas Nufer nach, warum er sich in der Flüchtlingspolitik so stark engagiert.
Drei Fragen an Pfarrer Andreas Nufer
Andreas Nufer, warum ist dies für Sie so ein starkes Anliegen?
Es ist unerträglich und eine zivilisatorische Katastrophe, was an den Aussengrenzen Europas passiert. Den Ländern Europas gelingt es nicht, die unzähligen Toten an der eigenen Aussengrenze zu verhindern oder die erbärmlichen Verhältnisse zu ändern, in denen Hunderttausende in den Camps leben. In Anbetracht der wirtschaftlichen Kraft Europas ist das schlimm. Gerade am Donnerstag hat der Ständerat beschlossen, massiv mehr Geld für den Grenzschutz Frontex auszugeben und es dabei abgelehnt, die humanitären Anstrengungen der Schweiz zu stärken, obwohl die eigene Sicherheitspolitische Kommission das vorschlug. Schlussendlich machte eine Stimme den Unterschied. Einen kaum zu übertreffenden Zynismus belegt der Satz von Bundesrat Ueli Maurer während der Debatte: «Es ist nicht eine Vorlage, um die Welt zu verbessern, sondern um die Sicherheit zu stabilisieren.»
Was erhoffen Sie sich vom öffentlichen Mahnmal, das vor der Heiliggeistkirche in Bern errichtet wurde?
Wir möchten die Bevölkerung sensibilisieren für den unnötigen Tod so vieler Menschen. Gleichzeitig protestieren wir gegen die unmenschliche und unchristliche Migrationspolitik Europas und der Schweiz.
Sie fallen seit Jahren immer wieder mal mit politischen Aktionen auf, etwa wenn Sie die Machenschaften der Autokonzerne oder der Grosskonzerne anprangern oder wie jetzt hier bei der Flüchtlinsthematik. Warum?
Die Kirche ist den Menschen verpflichtet, die ihre Stimme nicht erheben können. Sie muss laut und deutlich sagen, was Sache ist, und dabei auch Position beziehen.
Zum Thema:
Flüchtlingssonntag 2021: Gerechtigkeit auf der Flucht
Runder Tisch von interkulturell: Kirchliche Zusammenarbeit im «Global Village»
Sensibilisierungskampagne: Ent-fremdet – Zuhause in der Schweiz
Datum: 15.06.2021
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet