«Blinde» Beamte und verzweifelte Betagte
Eelco de Boer, die Osteuropa Mission
besteht seit 50 Jahren, auf welche Höhepunkte blicken Sie zurück?
Eelco de Boer: Die Arbeit der OEM Schweiz begann
schon im Jahr 1969, jedoch stehen meine Frau Elsbeth und ich seit 50 Jahren im
Dienst der Osteuropa Mission. Höhepunkte gab es manche, einer der grössten war
sicher der Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 und die damit verbundene
Öffnung der Grenzen zu Osteuropa. Zuvor war es ein gefährliches Unterfangen, in
diese Länder zu reisen. Wir hatten seit den 70er-Jahren in der Schweiz sowie an
den Grenzen zu Osteuropa mehrere Standorte mit speziell präparierten Fahrzeugen,
womit wir grosse Mengen an Bibeln, Kinderliteratur und so weiter in die
Ostländer bringen konnten. Das funktionierte während Jahren gut, doch gab es
auch heikle Situationen.
Erinnern Sie sich an ein
gefährliches Erlebnis?
Einmal gerieten Elsbeth und ich in
der ehemaligen CSSR in eine Militärkontrolle, als wir gerade dabei waren,
unsere «Fracht» im PW für die Übergabe bereitzustellen. Es gelang uns noch,
unsere Jacken über die restlichen Bibeln auf dem Rücksitz zu werfen, bevor wir
uns von Soldaten mit Kalaschnikows im Anschlag umzingelt sahen. Für die
Durchsuchung musste ein höherer Beamter aufgeboten werden, der lange auf sich
warten liess. Nach aussen gaben wir uns gelassen, doch innerlich schrien wir zu
Gott um Bewahrung und «Blindheit» für diese Durchsuchung. Als der Beamte
endlich eintraf, hatte er seinen Auftrag vergessen. Er sprach uns freundlich an
und ohne unser Fahrzeug zu kontrollieren, wünschte er uns eine gute
Weiterreise!
Wie ist die Osteuropa Mission in den
Zielländern organisiert?
Die OEM verfügt über ein gut
funktionierendes Netzwerk aus einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Sie führen und betreuen unsere Projekte mit viel Herzblut. Nach und nach hat
die OEM in den Zielländern staatlich anerkannte Stiftungen gegründet, was uns
ermöglicht, frei und unabhängig zu arbeiten, öffentliche Einrichtungen zu
besuchen und Direkthilfe zu leisten. Die OEM arbeitet in Osteuropa eng mit
Pastoren und Diakonen lokaler Kirchen zusammen. Diese besuchen und versorgen
die Familien regelmässig und überbringen auch die Beiträge für die Patenkinder.
So erfahren wir direkt, wo den Menschen der Schuh drückt und in welchen Bereichen Bedarf besteht. Es ist uns wichtig, nachhaltige Hilfe zu leisten. Zu unseren Projekten zählen die Versorgung mit Lebensmitteln, Medikamenten, Kleidern, Schuhen und Brennholz im Winter. Unsere Teams renovieren auch Häuser, installieren Öfen und sanitäre Einrichtungen. Dazu leisten sie Hilfe zur Selbsthilfe, indem sie den Familien Nutztiere oder Gemüsesaatgut abgeben. Für die Kinder und Jugendliche finden im Sommer Camps statt, auf die sie sich das ganze Jahr über freuen.
Corona trifft auch Ihre
Einsatzgebiete. Welchen Unterschied kann die Osteuropa Mission bewirken?
Viele Familien waren aufgrund des Lockdowns
von der Versorgung abgeschnitten. Unsere Mitarbeitenden sind mobil. Sie haben
ihre Hilfsaktivitäten fortgesetzt und den Notleidenden in Stadt und Land unter
Einhaltung der Schutzmassnahmen Lebensmittelpakete vorbeigebracht. Oftmals
kamen sie gerade rechtzeitig, fanden hungernde Kinder und leere Kühlschränke
vor.
Was berichten Ihre Mitarbeitenden
über die aktuelle Lage?
Die Krise dauert an und führt vor
allem in der Ukraine zu Familiendramen. Entmutigte Väter, die ihre Arbeit
verloren haben, können ihre Familien nicht mehr ernähren und begehen
Verzweiflungstaten. Ebenso sehen zahlreiche betagte Menschen keine Hoffnung
mehr und setzen ihrem Leben ein Ende. Unterdessen sind auch viele arbeitslose
Menschen obdachlos geworden. Etwa in der ukrainischen Stadt Mukatschewo. Unsere
Pastoren haben dort Sonderteams zusammengestellt. Sie suchen die Notleidenden
in den Strassen auf und versorgen sie mit warmen Mahlzeiten.
Unter anderem sind Sie im Gigant
Russland tätig – was tut die Osteuropa Mission dort?
Wir unterstützen dort Pastoren in
ihrer vielfältigen Tätigkeit. Wir haben in der Ukraine Mitarbeiter, die direkt
an der Grenze leben und in regelmässigem Kontakt mit Pastoren und Diakonen in
Russland stehen. Das Land hat jedoch völlig dicht gemacht, es herrscht die
totale Kontrolle. Es kommt kein Ausländer mehr hinein. Alles, was nach Ausland
aussieht, ist verdächtig. Es reicht schon mit einem westlichen Kugelschreiber
erwischt zu werden, um als Spion abgestempelt und schlimmstenfalls inhaftiert
zu werden. Auch die Banken sind betroffen und Geldüberweisungen nicht möglich.
Was können wir von den Christen in
den Projektländern generell lernen?
Wir können uns ihre Liebe zu Jesus
zum Vorbild nehmen. Sie sind täglich angewiesen auf die Führung und Versorgung
von Gott und wissen sich von ihm abhängig. Ihr Glaube ist durch etliche,
schwierige Erfahrungen, aber auch schöne Erlebnisse gereift und stark. Sie
vertrauen Gott in allen Dingen. Dadurch erleben Sie viele Gebetserhörungen und
Wunder.
Zur Osteuropa Mission Schweiz
Ziel der Osteuropa Mission ist, den christlichen Auftrag und Samariterdienst in Osteuropa und weltweit (Ungarn, Rumänien, Albanien, Kosovo, Serbien, Ukraine, Georgien, Russland und China) zu erfüllen. Erfahrene lokale Mitarbeitende bringen Armen, Bedürftigen und Verfolgten nachhaltige Hilfe und Hoffnung. Auch durch Hilfe zur Selbsthilfe schaffen wir Menschen die Möglichkeit, ein würdiges, selbständiges Leben zu führen.
Zur Webseite:
Osteuropa Mission Schweiz
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Datum: 21.09.2020
Autor: Manuela Herzog / Daniel Gerber
Quelle: Livenet