Pakistan reagiert auf «Blasphemie»-Mob-Mord
Das Anti-Terror-Gericht in Lahore in der Provinz Punjab sprach neben den sechs Todesstrafen weitere Urteile aus: Auf neun Personen wartet eine lebenslange Haft und auf eine weitere Person deren fünf Jahre.
Weitere 72 Personen, die Teil des Mobs waren, müssen für je zwei Jahre ins Gefängnis, berichtet der von der katarischen Regierung betriebene Sender «Al Jazeera».
Der ermordete Priyantha Kumara Diyawadana war ein sri-lankischer Fabrikmanager in einer Sportgerätefabrik in Sialkot, einer Stadt mit 650'000 Einwohnern. Er wurde eines Tages von Arbeitern beschuldigt, Blasphemie begangen zu haben. Er war 48 Jahre alt, als er im vergangenen Dezember ermordet wurde.
«Präzedenzfall schaffen»
«Wir sind gegen die Todesstrafe. Aber in diesem Fall musste ein Präzedenzfall gegen Selbstjustiz und Mob-Gewalt geschaffen werden», wurde der nationale Koordinator der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der katholischen Bischöfe von «UCA News» zitiert.
Videoaufnahmen, die im vergangenen Dezember in den sozialen Medien geteilt wurden, zeigten, wie ein Mob, angeblich Anhänger einer islamischen Partei, den Mann aus Sri Lanka zu Tode verprügelten und seine Leiche in Brand steckte. Einige Männer des Mobs machten Selfies mit dem brennenden Leichnam im Hintergrund.
Er hatte ein Plakat entfernt
Ein anonym gebliebener Beamter wurde damals in «Press Trust of India» zitiert: «Herr Kumara soll ein Plakat der Hardliner-Partei 'Tehreek-e-Labbaik Pakistan', auf dem Koranverse standen, zerrissen und in den Mülleimer geworfen haben.»
Das Plakat der islamistischen Partei war an die Wand neben dem Büro von Kumara geklebt. Ein paar Fabrikarbeiter sahen, wie er das Plakat entfernte und verbreiteten die Nachricht in der Fabrik.
Die meisten Menschen im Mob waren Aktivisten und Anhänger der TLP. «Der Mob zerrte ihn aus der Fabrik und folterte ihn schwer. Nachdem er seinen Wunden erlegen war, verbrannte der Mob seine Leiche, bevor die Polizei eintraf», so der Beamte weiter. Der damalige pakistanische Premierminister Imran Khan sprach von einem «Tag der Schande für Pakistan».
«Kein Fehler zugelassen»
«Der schreckliche Angriff auf eine Fabrik in Sialkot und die Verbrennung des Managers aus Sri Lanka ist ein Tag der Schande für Pakistan», twitterte Imran Khan nach dem Lynchmord. «Ich beaufsichtige die Ermittlungen und lasse keinen Fehler zu, alle Verantwortlichen werden mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden. Die Verhaftungen sind im Gange.»
Nasir Saeed vom britischen «Centre for Legal Aid Assistance and Settlement» hatte es auf die Untätigkeit der Regierung bei früheren Fällen von Mob-Gewalt und die Blasphemie-Gesetze zurückgeführt. «Weder ist dies der erste Fall von öffentlichem Lynchmord, noch wird es der letzte sein, wenn die Regierung und die Politiker diese Angelegenheit nicht ernst nehmen und entsprechende Gesetzesänderungen vornehmen», schrieb Saeed damals in einer Erklärung und nannte den Vorfall eines der «schlimmsten Beispiele dafür, wie Menschen das Blasphemie-Gesetz missbrauchen».
Oft Racheakte
Das Blasphemie-Gesetz des pakistanischen Strafgesetzbuchs (Artikel 295 bis 298) wird häufig für persönliche Racheakte missbraucht. Es enthält ausserdem keine Bestimmung zur Bestrafung eines falschen Anklägers oder eines falschen Zeugen. Das Gesetz wird unter anderem von islamistischen Extremisten genutzt, um religiöse Minderheiten – Christen, Schiiten, Ahmadiyyas und Hindus – zu verfolgen.
Die Weltöffentlichkeit wurde auf das pakistanische Blasphemie-Gesetz aufmerksam, nachdem Asia Bibi, eine christliche Mutter von fünf Kindern, zum Tode verurteilt wurde und über zehn Jahre im Gefängnis sass, bevor sie 2018 vom Obersten Gerichtshof Pakistans freigesprochen wurde (Livenet berichtete).
Ihr Freispruch zog den Zorn radikaler extremistischer Gruppen auf sich, die auf der Strasse protestierten und drohten, die zuständigen Richter des Obersten Gerichtshofs zu töten.
Im Jahr 2014 wurde das christliche Ehepaar Shehzad und Shamah Masih brutal ermordet, nachdem es zu Unrecht beschuldigt worden war, Seiten aus dem Koran herausgerissen zu haben.
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Datum: 28.04.2022
Autor: Anugrah Kumar / Daniel Gerber
Quelle: Christian Post / gekürzte Übersetzung: Livenet