Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
«Ja, man kann das mit der Grösse der Schweiz vergleichen», sagt Gunnar Wiebalck von «Christian Solidarity International» (CSI). Durch Vorstösse aus dem arabisch-muslimischen Norden in den Süden ist bisher ein Landstreifen von ungefähr 300 Kilometern Länge und 50-100 Kilometern Breite entvölkert worden. Hinzu kommen weitere Flächen in der westlichen Region Darfur. So weit sind die Reiter der Regierung auf ihren Sklavenzügen vorgedrungen.
«Dabei haben die Reiter nicht nur Sklaven genommen“, betont Wiebalck. „Sie haben auch die Ernten geplündert. Sie haben die Vorräte so weit wie möglich weggeschleppt und Getreidespeicher angezündet. Wenn sie die vielen Säcke nicht tragen konnten, haben sie die Sachen einfach vernichtet.»
Darum hört man nichts davon
Wie aber kann es im 20. und 21. Jahrhundert solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben!? Warum hört man davon so wenig? Wiebalck: «Das kommt auch daher, dass das Gebiet schwer zugänglich ist. Es liegt etwa 1500 Kilometer nördlich von Nairobi, der Hauptstadt Kenias. Wenn man dorthin will, dann geht das eigentlich nur mit dem Flugzeug.» Sonst wären die Entfernungen einfach zu gross.
«Aber so eine Reise mit dem Flugzeug, das ist etwas ganz anderes als man es in Europa kennt. Da geht man nicht einfach ein Ticket kaufen, sondern chartert gleich das ganze Flugzeug. Und der Pilot sucht sich dann irgendwo eine geeignete Landestelle.» Richtige Flughäfen gibt es nicht, sondern einfach baumfreie Sandstreifen. Das macht das Reisen zum einen sehr teuer, zum andern aber auch gefährlich.
«Die Regierung des Sudan hat ausdrücklich alle Flüge verboten, die nicht die Zustimmung der Vereinten Nationen haben. Und dann gibt es noch Sperrzonen mit regelrechten Flugverboten. Dazu gehört auch das Gebiet, in das wir immer wieder reisen. Zu den allgemeinen Kosten müssen wir also auch noch Piloten finden, die sich trauen, überhaupt in diese entlegenen Regionen zu fliegen und dort zu landen.» Darum werde über diese grauenhafte Zustände im Land nicht ausführlich berichtet.
Sie brachten Essen statt Freiheit
Dass es Sklaverei im Sudan gibt, war schon vor dem Einsatz von CSI bekannt. Aber es wurde nicht international diskutiert. Wer Beweise dafür hatte, wurde in der Regel – wenn er Sudanese war – verhaftet, wie zum Beispiel der Herausgeber der «Sudan Times» in Khartum. Nach seinem ersten Bericht über Sklaverei verbrachte er einige Zeit im Gefängnis.
Gunnar Wiebalck: «Dann ist es natürlich auch so, dass in diesem Gebiet viele Hilfswerke waren, denen es nicht in erster Linie um die Verletzungen der Menschenrechte ging, sondern sie haben allgemeine Hilfe geleistet. Diese Leute haben sich nie nach den Hintergründen und nach der Sklaverei erkundigt. Sie wollten einfach den Menschen beistehen, die um ihr Überleben kämpften.»
So wurde die Sklaverei entdeckt
CSI dagegen hat etwas tiefer gegraben und hat die Leute gefragt: «Hat euch der Krieg noch weitere Nachteile gebracht? Habt ihr mehr als eure Ernten und euer Vieh verloren?» Gunnar Wiebalck: «Wir fanden dann das Hauptproblem dieser Leute heraus. Das war gar nicht der Verlust ihrer Ernten. Ihre grösste und bitterste Kriegserfahrung war die Verschleppung und Versklavung ihrer Angehörigen: Frauen wurden mitsamt ihren Kindern entführt und viele Männer von den Sklavenjägern ermordet. Eine Tragödie von einem Ausmass, das sich niemand hätte vorstellen können.»
Die Welt schaut weg
Es geht dabei nicht um einzelne Fälle, sondern um eine systematische Verschleppung und Vertreibung, eine gut geplante Versklavung von ganzen Ortschaften. Wiebalck: «Das haben wir im Jahr 1995 zum ersten Mal erfahren, und zwar in dem Dorf Nyamlel in der Region Aweil West, das kurz zuvor überfallen worden war. Wir kamen dorthin, als die Narben noch dieses Verbrechens noch offenkundig waren. Die Überlebenden irrten durch die Trümmer, und wir fragten sie, was hier eigentlich passiert sei. Wir erfuhren, dass über 200 Leute in die Sklaverei abgeführt worden waren. In einem langen Zug wurden sie in den Norden getrieben. Kleine Kinder wurden auf Pferde gebunden, Leute, die nicht mehr weiter konnten, wurden niedergeschlagen und getötet. Die meisten Verschleppten waren Frauen und Kinder.»
Damit will das arabisch-moslemische Regime in Khartum neue demografische Verhältnisse schaffen. Denn man weiss um die Bodenschätze, vor allem um das Erdöl, dort im Süden. Doch die Welt schaut weg.
Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?
Webseite: www.csi-int.org
Datum: 10.06.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch