Nawalny: woher er seine Kraft nahm
Im Februar 2021 war es für viele eine Überraschung, als Nawalny bei seinen letzten Worten vor Gericht die Bibel zitierte. «Ich war früher ein ziemlich militanter Atheist», räumte er ein und fügte sogleich hinzu, dass er «jetzt ein Gläubiger» sei. Dem russischen Oppositionsführer zufolge hat ihm sein Glaube die Umstände erleichtert. «Es gibt weniger Kämpfe in meinem Leben, weil es ein Buch gibt, in dem im Allgemeinen mehr oder weniger klar geschrieben steht, was in jeder Situation zu tun ist.» Sich an der Bibel zu orientieren, klappe nicht immer, aber «im Grossen und Ganzen schon».
In seinem Berufungsprozess vor dem Moskauer Bezirksgericht Babuschkino zitierte er aus der Bergpredigt des Matthäus-Evangeliums und bekannte sich zu seinem christlichen Glauben, wie der «Spiegel» 2021 berichtete. «Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden», zitierte Nawalny aus der Bergpredigt.
«Eigentlich ist der russische Oppositionspolitiker bekannt für seinen trockenen Humor, seine Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten. Dass derselbe Nawalny sich auf Gott berufen, die Bergpredigt zitieren und seinen Glauben hervorkehren würde, hatte kaum jemand erwartet in jenem Moskauer Gerichtssaal, in dem Nawalny auftrat», kommentierte der Spiegel.
Obwohl einige seiner Mitstreiter sich darüber lustig gemacht hätten, sei der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes Kern seiner Hoffnung gewesen, so Nawalny damals.
Druckmittel gegen Behörden?
Logischerweise ist nicht jeder vom religiösen Charakter von Nawalnys Bekehrung zum Christentum überzeugt. Die Moscow Times interpretierte seine religiösen Äusserungen eher politisch-soziologisch und wies darauf hin, dass Nawalny sich der Tradition der russischen Intelligenz anschloss, indem er zu seiner Verteidigung die Bibel zitierte. Dies wurde auch von den verfolgten sowjetischen Schriftstellern Alexander Solschenizyn und Joseph Brodsky getan. Die Zeitung spekulierte, dass der Oppositionsführer die Bibel benutzte, um die russischen Behörden in ein Dilemma zu bringen: Einen Nawalny als bibelgläubigen Christen und Verteidiger der traditionellen biblischen Werte, die Russland zu verteidigen vorgibt, kann man schlecht als unmoralischen Kritiker und Querulanten abtun.
«Nach ewigen Werten gesucht»
Auch in den Monaten nach dem Gerichtsprozess erwähnte Nawalny seinen Glauben auf seinen Social-Media-Konten, etwa auf Instagram. Im Mai 2021 bezog er sich zum Beispiel auf Ostern: «Ich gratuliere allen zu dem besten Fest gemäss der Tradition: Gläubigen (was ich jetzt bin), Ungläubigen (was ich war) und militanten Atheisten (was ich auch war).»
Es ist nicht klar, was Nawalny von seiner atheistische Haltung zum Glauben geführt hat. Sergej Rachuba von der Mission Eurasia, die Kirchen in den ehemaligen Sowjetrepubliken unterstützt, glaubt, dass Nawalny zum Glauben kam, als er «um sein Leben kämpfte», wahrscheinlich nach dem Giftanschlag Mitte 2020. In einem Interview mit Missions Box sagte Rachuba: «Als er um sein Leben kämpfte, sagte er, er habe Gott gefunden. Wir wissen, dass er mit einigen christlichen Gemeinschaften in Kontakt war und nach ewigen Werten suchte.»
Kommentator Uwe Birnstein sagte am 22. Februar 24 im Bayrischen Rundfunk unter dem Titel «Nawalny und die Sprengkraft des Glaubens»: «Ein Christ bietet den Unrechtsherrschern die Stirn – weil er keine Angst hat und überzeugt ist von der Botschaft Jesu. Nein, das Christentum hat nicht abgewirtschaftet. Seit Anbeginn verleiht der Glaube Menschen eine Kraft, die ausreicht, um Mauern und Bastionen der Ungerechtigkeit zum Einsturz zu bringen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Auch in Russland.»
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Datum: 24.02.2024
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Livenet / CNE News