Archäologische Sensation

Kam der erste Christ nördlich der Alpen aus Frankfurt?

Neuster Fund
Bereits 2018 wurde in einem Frankfurter Gräberfeld ein Anhänger aus Silberfolie entdeckt, der sich jetzt als ältestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen herausstellte.

Wenn in Frankfurt gebaut wird, dann schauen sich die Mitarbeitenden der beteiligten Firmen vorher an: «Na, was meinst du? Römische Krüge oder Weltkriegsbombe?» Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, auf das eine oder das andere zu stossen, wenn in der hessischen Stadt etwas ausgeschachtet wird. Eine Weltkriegsbombe bekommen dabei alle Anwohner mit – dann wird gesperrt, evakuiert und geräumt. Archäologische Funde erregen weniger Aufmerksamkeit. Sie verzögern zwar die Arbeiten, aber meist wird das Entdeckte so schnell wie möglich gesichtet und dann geborgen. 

So geschah es auch 2018 bei den Bauarbeiten zu einem Mehrfamilienhaus im Ortsteil Praunheim. Hier lag früher das römische Nida, eine bedeutende Siedlung der «Civitas Taunensium». Beim Graben stiessen Arbeiter auf ein 1'800 Jahre altes Gräberfeld und bargen die Funde, um sie später zu sichten. Im Dezember 2024 meldeten sich die Archäologen mit einem «Sensationsfund». Ein Verstorbener hatte einen silbernen Anhänger getragen mit einer aufgewickelten Silberfolie darin. Und diese «Frankfurter Silberinschrift» stellte sich als das bis jetzt älteste christliche Zeugnis nördlich der Alpen heraus.

Der Silberanhänger

Viele der Gräber enthalten mehr oder weniger wertvolle Grabbeigaben, doch das Grab Nummer 134 sticht heraus: Hier wurde ein wohl 40-jähriger Mann bestattet. Die Nägel rund um die sterblichen Überreste zeigen, dass er – für damals ungewöhnlich – wohl in einem Sarg bestattet wurde. Ausserdem trug er einen silbernen Anhänger um den Hals. Die beschriebene Silberfolie darin war nicht zu lesen: Beim Entrollen wäre sie zerstört worden. Zunächst galt sie als typisches Schutzamulett (Phylakterium), doch dann wurde die Folie im Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz mithilfe von Computertomographen durchleuchtet und als 3-D-Modell dargestellt und virtuell entrollt. Die enthaltenen Zeilen sind ein lateinischer christlicher Text (hier ein Foto):

(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt widersetzt sich nach [Kräften?] allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?). Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden Eintritt. Dieses Rettungsmittel(?) schütze den Menschen, der sich hingibt dem Willen des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn, da sich ja vor Jesus Christus alle Knie beugen: die Himmlischen, die Irdischen und die Unterirdischen, und jede Zunge bekenne sich (zu Jesus Christus).

Viele Fragen bleiben noch offen. Ist der erwähnte Titus der Gefährte von Paulus? Zitiert der Text Philipper, Kapitel 2, Vers 10-11? Vor allem aber: Wer war der Mann, der vielleicht ein gläubiger Christ war zu einer Zeit, als das Christentum noch keine Staatsreligion war, als Christen vielmehr verfolgt wurden? Und wenn ja, wie war er zum Glauben gekommen? Wie hatte er den Text lange vor der Verbreitung der neutestamentlichen Schriften erhalten? Die Datierung des Grabes auf 230 bis 270 nach Christus ist sicher. Damit scheint «das Amulett der derzeit früheste Nachweis authentischen Christentums nördlich der Alpen» zu sein, wie die Frankfurter Rundschau darstellt.

Die Kontroverse

Inzwischen gibt es erste Einsprüche zu dieser Deutung. Der Berliner Theologe Christoph Markschies bewertet den Fund eher als damals übliches Amulett und meint: «Wir wissen nicht, ob der Mann von Nida selber ein Christ war.» Er vermutet eher eine Art Schutzzauber mit «mächtigen Namen». Der Frankfurter Archäologe Markus Scholz sieht diese Auseinandersetzung gelassen: Die Silberinschrift bleibe das «erste christliche Zeugnis nördlich der Alpen» und ausserdem erwähne sie eben nicht, wie damals üblich, möglichst viele mächtige Namen: «Es ist nichts darin zu finden, das nicht christlich ist.» Tatsache ist, dass die Untersuchungen erst am Anfang stehen, doch das Frankfurter Bibelhaus weist bereits jetzt drauf hin, dass der Fund «ähnlich sensationell wie die biblischen Textfunde vom Toten Meer» sei. «Diese Inschrift kann es mit jedem Papyrusfund frühester biblischer Texte aufnehmen.»

Das Zeugnis

Es bleibt schwierig, diesem Fund näherzukommen. Wer war der Träger des christlichen Anhängers? Momentan werden seine Knochen unter die Lupe genommen und auch das Silber auf seine Herkunft untersucht. Insgesamt rückt der Fund christliche Inhalte für die Wissenschaft in eine deutlich frühere Zeit. Ein Pauluszitat des Christushymnus befand sich im frühen 3. Jahrhundert bereits übersetzt in Frankfurt. Die Formel «Heilig, heilig, heilig!», das sogenannte Tris-Hagion, wurde bisher in der christlichen Liturgie ab dem 5. Jahrhundert vermutet – nun existiert ein 200 Jahre früherer Fund. Selbst die städtischen Beauftragten aus Frankfurt stellen fest: «Die ‚Frankfurter Silberinschrift‘ ist somit eines der bedeutendsten Zeugnisse des frühen Christentums weltweit. Ihre Entdeckung eröffnet für die Archäologie, die historischen Wissenschaften und die Theologie neue Horizonte, aber auch eine Vielzahl neuer Fragestellungen.»

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Datum: 19.02.2025
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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