Aus­beu­tung durch Pro­sti­tu­tion

Ist das Nor­di­sche Modell ein Aus­weg?

Die Schweiz ist in Sachen Pro­sti­tu­tion eines der libe­ralsten Län­der Euro­pas. Referentinnen und Referenten aus der Schweiz und Schweden sprachen am Samstag über Möglichkeiten, das sogenannte Nordische Modell auch in der Schweiz anzuwenden, bei dem unter anderem Freier kriminalisiert werden.
Lilian Studer am Fokustag der EVP (Bild: EVP)

Die Schweiz ist in Sachen Pro­sti­tu­tion eines der libe­ralsten Län­der Euro­pas. Das Geschäft mit dem Sex blüht. Doch die jähr­lich bis zu einer Mil­li­arde Pro­fit machen nicht die meist aus­län­di­schen Pro­sti­tu­ier­ten selbst. Sie lan­den aus unter­schied­lichs­ten Zwangs­si­tua­tio­nen her­aus im Milieu und tra­gen lebens­lang die kör­per­li­chen und psy­chi­schen Fol­gen. Kann das Nor­di­sche Modell, beste­hend aus Aus­stiegs­hil­fen für die Pro­sti­tu­ier­ten, Kri­mi­na­li­sie­rung der Freier und Auf­klä­rungs­ar­beit die Situa­tion der Betrof­fe­nen in der Schweiz nach­hal­tig ver­bes­sern oder gibt es wirk­same Alter­na­ti­ven? Diese Frage stand im Zen­trum der Fokus­ta­gung der EVP Schweiz am Sams­tag, 4. September in Bern mit hoch­ka­rä­ti­gen Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten aus der Schweiz und aus Schwe­den.

Par­tei­prä­si­den­tin und Natio­nal­rä­tin Lilian Stu­der betonte in ihrer Eröff­nung die Bedeu­tung die­ser Dis­kus­sion: «Sie ist ein wich­ti­ger Schritt auf unse­rem Weg in eine Schweiz ohne Aus­beu­tung», so Lilian Stu­der. 

Armut und Bil­dungs­ferne als Ursa­chen

Am Vor­mit­tag ver­mit­tel­ten Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten einen Über­blick über die Schwei­zer Pro­sti­tu­ti­ons­szene. Der Chef der Ber­ner Frem­den­po­li­zei, Alex­an­der Ott, stellte das Melde-, Bewilligungs- und Kon­troll­ver­fah­ren vor, mit dem die Stadt Bern u.a. mit obli­ga­to­ri­schen Erst­ge­sprä­chen, Umfeld­ab­klä­run­gen, Milieu­kennt­nis und inter­kul­tu­reller Kom­pe­tenz sowie koor­di­nier­tem Vor­ge­hen der invol­vier­ten Behör­den ver­sucht, die Rolle der «inter­ve­nie­ren­den und ver­mit­teln­den Ver­wal­tung» ein­zu­neh­men. Er zeigte auch die Ursa­chen der Pro­sti­tu­tion auf wie Armut, Bil­dungs­ferne oder feh­lende Per­spek­ti­ven in den Her­kunfts­län­dern. Die Schweiz müsse end­lich nicht mehr nur über die Sex­ar­beit dis­ku­tie­ren, son­dern über die nicht ziel­füh­ren­den Dis­kurse, die dazu geführt wer­den. 

Hor­rende Abzo­cke

Peter Wid­mer, Co-Gründer des Heart­wings-Ver­ein, zeigte den All­tag der jun­gen Mäd­chen und Frauen im Milieu mit Still­schwei­ge­ge­bot, Gewalt, Druck, Geld­ab­gabe und hor­ren­der Abzo­cke: «Hin­ter fast jeder Frau steht heute ein Sys­tem, das finan­zi­ell davon pro­fi­tiert», so Wid­mer. Poli­zei und Opfer­hil­fe­stel­len schei­ter­ten oft daran, die fak­ti­sche Zuhäl­te­rei und Aus­beu­tung gerichts­ver­wert­bar zu bewei­sen. In einem Video-Beitrag zeigte Psy­cho­the­ra­peu­tin und Ex-Prostituierte Anna Schrei­ber auf, was die Arbeit als Pro­sti­tu­ierte mit der Psy­che einer Frau macht. 

Fast alle wol­len raus

Die Co-Geschäftsführerin der Frau­en­zen­trale Zürich, San­dra Plaza, bezif­ferte die Lebens­er­war­tun­gen der Pro­sti­tu­ier­ten auf zwi­schen 35 und 40 Jah­ren. Meist sind es Ange­hö­rige eth­ni­scher Min­der­hei­ten, dis­kri­mi­nierte Flücht­linge, Asy­lan­ten ohne Auf­ent­halts­be­wil­li­gung, Opfer sexu­el­ler Gewalt sowie Drogen- oder Alko­hol­ab­hän­gige. «Die Demü­ti­gung durch sexu­elle Gewalt ist so ver­hee­rend wie Fol­ter», zitierte Plaza aus dem Scelles-Report. Zwi­schen 85 und 95 Pro­zent der Men­schen, die sich pro­sti­tu­ier­ten, woll­ten dem­nach damit auf­hö­ren.

Plaza stellte den Tagungs­teil­neh­men­den das Nor­di­sche Modell vor mit sei­nen Säu­len der Ent­kri­mi­na­li­sie­rung aller Frauen in der Pro­sti­tu­tion, Kri­mi­na­li­sie­rung aller Pro­fi­teure wie Freier, Zuhäl­ter und Bor­dell­be­trei­bende, Aus­stiegs­hil­fen, Auf­klä­rung und Öffent­lich­keits­ar­beit. Noemi Grüt­ter von Amnesty Inter­na­tio­nal stellte dem die Kri­tik am Nor­di­schen Modell gegen­über. Die Pro­sti­tu­tion werde durch ein Sex­kauf­ver­bot nicht redu­ziert, son­dern nur in den Unter­grund ver­la­gert, wodurch Gewalt und Unsi­cher­heit für die Sex­ar­bei­ten­den noch ver­stärkt wür­den.

Freier sind die wesent­li­chen Trei­ber

Der schwe­di­sche Poli­zei­in­spek­tor und mehr­fa­che Buch­au­tor zum Thema, Simon Häggs­tröm aus Stock­holm, ent­kräf­tete diese Vor­be­halte, wäh­rend er über die Erfah­run­gen der Stock­hol­mer Poli­zei mit 20 Jah­ren Frei­er­be­stra­fung berich­tete sowie Eva­lua­ti­ons­er­geb­nisse vor­stellte. Häggs­tröm benannte die Freier als wesent­li­che Trei­ber für den Men­schen­han­del – denn ohne deren Nach­frage nach Frauen und Kin­dern für sexu­elle Zwe­cke würde die glo­bale Sex­in­dus­trie nicht flo­rie­ren und expan­die­ren. Das Pro­sti­tu­ti­ons­ver­hal­ten schwe­di­scher Män­ner habe sich über die Jahre signi­fi­kant ver­än­dert. Auch die Zustim­mung zur Frei­er­be­stra­fung sei in den Jah­ren zwi­schen 1996 und 2008 von etwas über 30 Pro­zent auf über 70 Pro­zent gestie­gen. 

Lösun­gen für die Schweiz

Die anschlies­sende Podi­ums­runde, zu der FIZ-Geschäftsführerin Lelia Hun­zi­ker sowie Natio­nal­rä­tin Mari­anne Streiff sties­sen, dis­ku­tierte, wel­che der gehör­ten Hand­lungs­an­sätze für die Schweiz nutz­bar gemacht wer­den könn­ten bzw. wel­che Anpas­sun­gen oder Alter­na­ti­ven es bräuchte. Aus­stiegs­pro­gramme sowie Hil­fen in den Her­kunfts­län­dern, aber auch Öffent­lich­keits­kam­pa­gnen stan­den dabei unter ande­rem im Fokus.

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Datum: 07.09.2021
Quelle: EVP

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