Kommentar

Arabische Rechnung

Ghadhafi
Iran
Im Persischen Golf angekommen: Die Logos Hope vor der Skyline von Doha.

Nun kommt die Rechnung auf den Tisch: Die europäischen Staaten zahlen für den schwächlichen, öligen Pragmatismus ihrer Politiker im Umgang mit den arabischen Unrechtsregimes einen hohen Preis. Ihnen war wohl nicht zu helfen. Aber dass Libyen in den UN-Menschenrechtsrat gelangen konnte, ist eine Schande.

In Genf und New York zeigt sich das Versagen der Diplomatie. Die Bestrebungen, Libyen aus dem Rat ausschliessen, erfolgen erst jetzt – nachdem Ghadhafis Diplomaten selbst mit ihm gebrochen und ihn des Völkermords bezichtigt haben. In Afrika müssen sich die Präsidenten über ihre Kungelei mit dem irren Wüstensohn schämen: Sie hatten ihn zum Vorsitzenden der Afrikanischen Union gewählt und ihm eine Plattform für seine Tiraden und Spinnereien geboten.

Auch die arabischen Emire zahlen eine gesalzene Rechnung dafür, dass sie Reformkräfte über Jahrzehnte abgewürgt haben, um uneingeschränkt (korrupt) herrschen zu können. Erst jetzt – nach 20 Jahren – hebt die Führungsclique in Algerien den Ausnahmezustand auf. Der saudische Monarch versucht den Unmut in seiner Bevölkerung darüber, dass das Herrscherhaus das Land als Familienbesitz hält, in Milliarden zu ertränken. (Ob er die von einem kleinen Kreis beantragte Reform-Partei zulassen wird?) Bahrain lässt hunderte schiitische Häftlinge frei. In Marokko wird die Gewaltentrennung, eine konstitutionelle Monarchie gefordert – damit der König nicht mehr alle Fäden in der Hand hat.
Bizarr und schizophren ist der Applaus des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad  für die Proteste – nachdem er die Opposition im eigenen Land mit seinen Schlägern und Folterknechten geknebelt hat. Abgeordnete im Teheraner Parlament forderten gar die Hinrichtung der eigenen Oppositionsführer, die zu neuen Demos aufgerufen hatten.

Die iranischen Machthaber können sich insofern die Hände reiben, als die Proteste die Stellung ihres potentesten sunnitischen Gegenspielers, der Saud in Riad, schwächen. Das Verdienst der Teheraner besteht darin, dass sie auch den Arabern die Augen dafür geöffnet haben, wohin es führt, wenn man islamischen Geistlichen die Macht anvertraut. Aber wem denn? Am ehesten Armeeführern (Ägypten hat davon profitiert, dass viele Offiziere in den USA geschult wurden) – doch die Gilde der Assad, Nasser, Mubarak und Ghadhafi hat sich der Aufgabe, ihre Länder zu modernisieren, unwürdig erwiesen.

In historischer Perspektive ist dies auch darum bedeutsam, weil ein Grossteil der Araber über Jahrhunderte von Fremden regiert wurde. Nach dem kolonialen Zeitalter endlich konnten Einheimische das Zepter übernehmen. Diese Jahrzehnte enden nun in Protesten und Volksaufständen. Aus Mangel an Alternativen wurde in Benghasi die Fahne des früheren königlichen Libyen gehisst...

Man ahnt, dass die arabische Welt Krämpfe von biblischem Ausmass erlebt: Was Menschen schaffen, wird erschüttert, „damit bleibe, was nicht erschüttert werden kann“ (Hebräer 12,27). Christen sind aufgerufen, diese Zeiten, in denen es um geistlichen Tod oder Leben für Millionen Menschen geht, mit Gebet zu begleiten.
Bemerkenswerte Ruhe herrscht in diesen Wochen in Katar. Im Kleinstaat am Golf, der die Fussball-WM 2022 an Land zog, sind wütende Proteste bisher ausgeblieben. Mit dem britischen Premier Cameron verurteilte der Regierungschef des Emirats am Mittwoch die libysche staatliche Gewalt gegen die eigene Bevölkerung. Der vom Emir protegierte Sender Al-Dschasira gibt den Protestierenden ein weltweites Publikum. Kein anderes Medium tut mehr, um ihren Emotionen und Forderungen im islamischen Raum Nachdruck zu verschaffen – mit unabsehbaren Folgen.
Zwar ist der sunnitische Islam in Katar wie in Saudi-Arabien Staatsreligion. Doch die Elite setzt nicht auf Misstrauen gegenüber allem Fremden. Was im Nachbarland undenkbar ist, macht Katar möglich: Am Donnerstag legte die Logos Hope mit dem grössten schwimmenden christlichen Buchladen der Welt in Doha an. Die Behörden signalisieren mit dieser Première, dass sie ihrer Bevölkerung den reifen Umgang mit nichtislamischer Literatur zutrauen. Das ist ihnen hoch anzurechnen.

Datum: 26.02.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung