Clinton, Trump und die Christen
Europa schüttelt beim Blick auf den milliardenteuren US-Wahlkampf oft genug verständnislos den Kopf. Welcher der Kandidaten ist denn nun das geringere Übel? Und selbst die US-Amerikaner fühlen sich plötzlich gefangen in einer Demokratie, die so niemand gewollt hat. Die Präsidentschaftswahlen der USA werden erst am 8. November stattfinden, doch bis dahin streiten sich die unbeliebtesten Kandidaten, die das Land in seiner Geschichte je hatte – medienwirksam und oft genug unter der Gürtellinie.
Geld, Skandale und fehlendes Vertrauen
Wer in den USA Präsident werden will, muss es schaffen, als «einer von uns» zu gelten. Gleichzeitig braucht er oder sie ein ordentliches Finanzpolster, sowohl durch die jeweilige Partei als auch persönlich. So ist es fast symptomatisch, dass bei der aktuellen Wahl ein Milliardär gegen eine Multimillionärin antritt. Ein Stückweit wollen damit beide den «American Dream» verkörpern, das Bild von Menschen, die es an die Spitze geschafft haben. Doch da beide in erster Linie aus reichen Familien stammen, ist das Bild nicht sehr stimmig.
Dazu kommen Skandale und Verdächtigungen, die die Glaubwürdigkeit der Kandidaten unterminieren. Während Clinton offensichtlich zu lässig mit Sicherheitsstandards im E-Mail-Verkehr umgeht und auch an anderen Stellen gern Privates mit Politischem vermischt, überschreitet Trump mit seiner Wortwahl so regelmässig die Grenzen des guten Geschmacks und der Unwahrheit, dass dies auch für viele Republikaner zum Problem wird. Clinton gilt als politisch erfahren, aber unnahbar bis kalt, Trump als nicht käuflich, aber unberechenbar. Als Folge beschrieb der Auslandskorrespondent Ansgar Graw in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Idea, dass beide Kandidaten extrem unbeliebt bei der Bevölkerung sind. «Sie sind die unbeliebtesten Kandidaten seit Beginn der Meinungsforschung. Nach einer Umfrage der 'Washington Post' wird Hillary Clinton von 56 und Donald Trump gar von 63 Prozent der Amerikaner abgelehnt. Eine ähnliche Umfrage der Monmouth Universität zeigte vor wenigen Tagen, dass nur zwei Prozent beide Kandidaten akzeptabel finden.» So verstärken die Präsidentschaftskandidaten durch ihr persönliches (Fehl-)Verhalten und die gegenseitigen Vorwürfe und Verdächtigungen noch das Klima der Politikverdrossenheit in den USA.
Die Rolle des Glaubens
Sowohl Clinton als auch Trump wissen, dass sie ohne die relativ grosse Gruppe der weissen, gebildeten Gläubigen keine Chance auf einen Einzug ins Weisse Haus haben. So positionieren sie sich beide gern als Christen. Clinton trägt ihre Bibel immer in der Handtasche bei sich und Trump bezeichnete sich wiederholt als «enorm gläubig». Doch das Andocken an einzelne Vorstellungen des christlichen Glaubens kann bei beiden nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles in ihren Programmen auch in deutlichem Widerspruch zu biblischen Überzeugungen steht. Nachdem Trump anfangs von evangelikalen Leitern eher gemieden wurde, erfährt er seit einer Weile von vielen breite Zustimmung, ohne allerdings «christlicher» zu sein als vorher.
Laut Graw könnte Clintons Motto «Tu so viel Gutes, wie du nur kannst…» – ein Gedanke des Predigers John Wesley – aus christlicher Sicht für Hillary Clinton sprechen. Doch er schränkte ein: «Wenn im Weissen Haus nach diesem Wahlspruch regiert würde, wäre das einerseits erfreulich. Andererseits fängt da ja erst die eigentliche Debatte an: Was ist das Gute, das man anderen antun soll? Wie lässt es sich in der Innen- und in der Aussenpolitik bestimmen?»
Bei Trump unterstrich Graw im Interview dessen Ansatz, das Christentum gegen radikalen Islam zu verteidigen. «Andererseits sind seine Polemiken nicht gerade Inbegriff der christlichen Verkündigung: Er bezeichnete illegal ins Land drängende Hispanics mehrheitlich als Drogenhändler, Vergewaltiger und Mörder, er beschimpfte Frauen, die ihn kritisierten, als 'fett' oder 'hässlich', er ahmte die unkontrollierten Bewegungen eines Behinderten nach. Und er sagte, Hillary Clinton sei der Teufel.»
Eine schwierige Wahl
In den USA wächst das politische Gewicht der Minderheiten, der Hispanics, Schwarzen und Konfessionslosen. Doch während sie zur Wahl Obamas wohl die entscheidenden Stimmen beigesteuert hatten, sind sie momentan so zerrissen wie der Rest der Bevölkerung. Nach bisherigen Umfragen wird die Wahl im November knapp ausgehen. Und trotz Politikverdrossenheit und unbeliebter Kandidaten herrscht in den USA ein Lagerdenken vor, das grosse Abweichungen davon unwahrscheinlich macht. Professor Greg Garrett, eine profilierte Stimme zu Religion und Kultur in den USA, warnte daher seine Landsleute: «Wenn Christen bei dieser Wahl politische Demagogen unterstützen, dann wählen sie sie nicht aufgrund von biblischen Prinzipien oder kirchlicher Lehre, sondern aus weltlicher Angst und Wut, und wollen durch die dunkle Seite ihres Glaubens andere ausschliessen, dämonisieren und angreifen.» Sprich: Wer den christlichen Glauben zum Massstab seiner Entscheidung machen will, darf sich nicht mit billigen Floskeln zufriedengeben.
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Datum: 09.09.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet