ZDF-Journalist über IS-Terror:

«Hier tobt der schiere Albtraum»

«Es lässt sich nicht anders sagen: Die Kämpfer des 'Islamischen Staates' (IS) zelebrieren die Gewalt geradezu». Darauf weist der ZDF-Journalist Hans-Ulrich Gack gegenüber Livenet hin. «Sie wollen zeigen, dass sie über den anderen Menschen stehen. Sie demütigen sie und gehen so brutal vor, dass sie bei ihren Feinden Panik auslösen. » Gack berichtete für das ZDF über Massengräber und Greuel Anfang Februar.
IS-Kämpfer
Hans-Ulrich Gack
ISIS-Wagenkolonne

In vielen Ländern des Orients «tobt der schiere Albtraum», so Gack. Zuletzt besuchte der Krisenreporter den Nordirak und sprach mit Opfern des IS-Terrors und deren Angehörigen. Er sah Massengräber in Hardan und Khana Sor und berichtete darüber. In früheren Jahren berichtete Gack aus Afghanistan und Libyen.

Gewalt des IS trifft alle

Man müsse sehen, so Gack, dass die Gewalt nicht nur Andersgläubige wie Christen und Jesiden betreffe. Sie richte sich gegen jeden Menschen, der nicht so glaube wie die IS-Kämpfer. So sprenge der IS bald mehr Moscheen als Kirchen in die Luft. Moscheen, die in der Nähe von Gräbern stehen, gelten für sie als unrein. In Libyen habe er aus nächster Nähe erfahren, wie in einer Nacht eine alte Moschee mit Bulldozern zerstört wurde, weil sie in der Nähe von Grabmälern (stand). «Die Brutalität trifft nicht nur die Christen und Jesiden, sondern auch moderate Moslems und besonders hassen sie die Schiiten», berichtet Gack.

Die Religion werde auch benutzt, um die Gewalt zu rechtfertigen; sei es Mord, Zerstörung oder Vergewaltigung. Er wisse allein von tausend(en) Mädchen und Frauen aus jesidischen Dörfern des Sinjar-Gebietes im kurdischen Nord-Irak, die von IS-Kämpfern verschleppt und misshandelt wurden.

Naef Jaso, ein jesidischer Stammesführer der Gemeinde Kocho, berichtete Gack von über eintausend Frauen und Kindern, die aus seiner Gemeinde verschleppt wurden. Mindestens vierhundert männliche Bewohner ab zwölf Jahren hätten die IS-Terroristen Anfang August vergangenen Jahres in Kocho gezielt getötet und in Massengräbern verscharrt. Gack beruft sich auf zahlreiche Zeugenaussagen. So hat er mit Männern aus Kocho gesprochen, die diese Exekutionen schwer verletzt überlebt haben. Und mit jungen Frauen, die aus den Gefängnissen des IS ins Kurdengebiet fliehen konnten. Sie berichteten von wochenlangen, kaum vorstellbaren Misshandlungen.

Religion als Legitimation und «Vehikel»

In alledem sei der Glaube zwar wichtig, aber nicht die einzige Motivation, oft sei er eher ein «Vehikel». Den IS-Kämpfern gehe es auch um Geld und Macht, das seien entscheidende Motive für ihr Handeln. «Dabei legitimiert die Religion vieles, was sonst nicht möglich wäre. Die Täter beruhigen sich und ihr Gewissen mit den religiösen Erklärungen radikalisierter, islamistischer Mullahs.»

So legitimiere ihr Glaube, Menschen zu misshandeln und zu erniedrigen. «Geld und Macht sind mindestens so wichtig wie die Religion, die auch dazu missbraucht wird, Menschen für den IS zu rekrutieren und die Brutalität zu rechtfertigen.» Der Kalif des IS ermutige Sie mit seinen religiösen Parolen dazu, jegliche Zurückhaltung gegenüber den Opfern hinter sich zu lassen. Oft wurden die Hinrichtungen mit Videoaufnahmen dokumentiert und dann in sozialen Netzwerken propagandistisch dargestellt. «So können selbst Underdogs sich als Herrscher über Leben und Tod aufspielen.»

«Was zählt ist Beute zu machen»

Doch vor allem gehe es den Kämpfern darum, «Beute zu machen». Systematisch würden Häuser geplündert und danach zerstört. Menschen würden oft über Wochen gefangen genommen und systematisch ausgeraubt. Und dann würden sie dennoch umgebracht. Der IS versuche, im Nordirak Gebiete zu erobern, wo es fruchtbare Böden gebe, Wasser, aber auch wichtige Bodenschätze wie Öl und Phosphor.

Überlebende berichten

Gack hat mit Opfern und deren Angehörigen im Nordirak gesprochen. Er traf Menschen, die eine Exekution überlebt haben, weil ein Schuss «nur» ihr Knie oder den Hals erwischt hatte, ohne lebensgefährlich zu sein. Einmal sass er einer jungen Frau gegenüber, die ein völlig aufgedunsenes Gesicht hatte. Die junge Frau war nicht Opfer von Gewalt, sondern zerkratzte sich ihr Gesicht selbst und schmierte sich Dreck in die Wunden. Sie tat es, um so möglichst hässlich und für die IS-Kämpfer möglichst unattraktiv zu wirken, aus Angst vor Vergewaltigung. «Was man von den Menschen erzählt bekommt ist grausam ohne Ende».

Auf seiner Reise durch das Sinjar-Gebiet stiess er auf ein 12-jähriges Mädchen, die mit ihren Geschwistern auf der Flucht war. Der Vater war tot, die Mutter vermisst. «Dieses junge Mädchen musste für seine fünf jüngeren Geschwister zugleich Mutter, Vater und Grosseltern sein, weil sie niemanden mehr hatten».

Bei den Berichten für das Heute-Journal gehe es darum, diese Greuel zu dokumentieren und bekannt zu machen. Ansonsten werde man angesichts des Grauens oft einfach nur noch stumm.

Das heisse aber nicht, dass die Berichte nicht auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft würden; das gehöre zur journalistischen Sorgfalt. Das sei wichtig, denn es sei nicht immer leicht, Menschen zu finden, die Augenzeugen waren und nicht bloss weitererzählen, was sie von anderen gehört haben und nicht selten auch weiter aufbauschten, so Gack.

«Die Welt treibt auseinander»

«Wir leben hier in Europa auf einer goldenen Insel», so Gack. «Wir leben in einer Welt, in der viele über Menschen in Not wenig wissen, zum Teil sogar nicht wissen und verstehen wollen, was woanders passiert.» Zu diesem Desinteresse komme der Trend zur Separierung. Es gebe nicht nur einen Graben zwischen Europa und den Ländern des krisengeschüttelten Orients. Diesen Graben gebe es auch in den Krisenländern, wo sich wohlhabende Bürger in Siedlungen verschanzen, wo sie unter sich leben und kaum noch mit bekommen, was ausserhalb der Siedlungs- und Stadtteilmauern passiert. «Die Welt treibt auseinander», so Gack.

Zum Thema:

Datum: 21.02.2015
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet

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