Pfarrer Bernhard Rothen

«Mit dem Wort Gottes wächst das Vertrauen»

Das Gottvertrauen schenkt die innere Freiheit für die grossen Probleme unseres Landes. Das betont Pfarrer Bernhard Rothen in seinem Vortrag vor der SVP-Leitung. Er ging dabei auch auf schwarze Schafe ein.
«Auch ein schwarzes Schaf»: Pfarrer Bernhard Rothen in Hundwil. (Foto: ideaSpektrum Schweiz)

Auf Empfehlung eines Pfarrkollegen referierte der ehemalige Basler Münsterpfarrer an der Kadertagung der SVP Schweiz über die jüdisch-christliche Tradition als Voraussetzung einer freien Gesellschaft.

«Die meisten Rückmeldungen waren sehr positiv», meinte Silvia Bär, stellvertretende Generalsekretärin der SVP Schweiz; «insbesondere auch, dass sich ein reformierter Pfarrer zur SVP gewagt hat, da sonst die offizielle Kirche, beziehungsweise die Elite der Kirche, fast immer gegen die Positionen der SVP ankämpft.»

ideaSpektrum Schweiz: Fühlen Sie sich als freier Mensch?
Bernhard Rothen: Nach dem Evangelium bin ich frei im Geist. Natürlich bin ich vielfach eingebunden in belastende Aufgaben. Gegen das Böse, das ich nicht will, muss ich in mir selber kämpfen. Paulus spricht vom fleischlichen Menschen. Und überall gibt es Zwänge – bei uns in Hundwil noch vergleichsweise wenige.

Wem verdanken wir letztlich unsere freie Gesellschaft?

Die Freiheit im Geist verdanken wir dem Heiligen Geist. Jeder, der glaubt, hat sie. Niemand kann sie uns nehmen. Auch unsere Glaubensgeschwister, die man wegen ihres Glaubens gefangen hält, sind doch frei, zu seufzen und zu beten. Dem Evangelium verdanken wir Schweizer, dass unsere politischen Ordnungen zurückhaltend ausgestaltet sind. Das schafft Freiräume.

Worüber wurde nach Ihrem Referat diskutiert?

Ich bekam vor allem zu hören, die Kirche stelle sich immer gegen die SVP. Es gab auch Stimmen, die meinten, unsere Freiheit sei im säkularisierten Staat anders zu begründen als mit dem Evangelium. Grundsätzlich wurde aber positiv gewürdigt, dass jemand von der Kirche kommt und mit Wertschätzung zu Vertretern der SVP spricht.

In persönlichen Reaktionen wurde mir auch gesagt, ich hätte eine beunruhigende Entwicklung treffend geschildert: Immer mehr Freiräume werden durch immer mehr Verwaltung vernichtet. Ich bin erschrocken, von kantonalen Parlamentariern zu hören, dass sie Regierung und Verwaltungen nicht wirklich kontrollieren können.

Ich kenne das von der Kirche, wusste aber nicht, dass das offenbar auch in unserem politischen System eine Schwachstelle ist.

Sie haben die SVP-Leute wohl auch geschockt, indem Sie die menschliche Sündhaftigkeit betonten.
Geschockt? Überhaupt nicht! Ich hatte den gegenteiligen Eindruck. Ich habe meine Aussage mit der Kritik an den Plakaten mit dem schwarzen Schaf verknüpft. Im Evangelium steht klar, dass wir alle schwarze Schafe sind.

Vereinfacht gesagt: Es ist schlecht, wenn wir die Probleme nur bei andern sehen. Das Plakat mit dem schwarzen Schaf bedient ein selbstgerechtes Denken. Damit zerstören wir einen wesentlichen Pfeiler unserer Freiheit: die Freiheit mir selber gegenüber, dass ich sehe, wo ich ein Teil des Problems bin.

Ich bin persönlich nicht dagegen, dass Straftäter hart angefasst werden. Doch das Evangelium betont das andere: Der gute Hirte sucht das verlorene Schaf. Und ich bin auch eines.

Welches ist das wesentliche Merkmal der jüdisch-christlichen Tradition?

Der Glaube an Gott. Er ist in allem frei. Ich darf ihn zum Beispiel jederzeit um Gesundheit bitten. Ob es gut ist für mich, gesund zu werden, weiss Gott und entscheidet er. Lässt er mich krank bleiben, bin ich frei, mit ihm zu hadern, ihn womöglich anzuklagen, im Gebet seine Hilfe zu suchen.

Ich ringe mit Gott, er mit mir, in persönlicher Freiheit. Vielleicht muss auch ein ganzes Dorf so mit Gott ringen, wenn sich ein Drama ereignet. In diesem persönlichen Gegenüber besteht unsere Freiheit.

Was gefährdet unsere Freiheit am meisten?

Vereinfacht gesagt: Wenn der Gottesglaube schwindet, müssen die Menschen leisten, was man vormals von Gott erwartet hat. Alles koordinieren, alles zum Guten hin lenken ... Der Verfall des Vertrauens wird kompensiert durch immer noch mehr Verwaltungs– und Lenkungsmassnahmen. Das sieht man in Staat, Schule, Kirche, im Gesundheitswesen.

Sie meinen auch, die Staatsmacht versuche uns zunehmend geistig und geistlich zu formen? Wie denn?
Die staatlichen Institutionen leiten die Menschen geistig und geistlich anders. Das eidgenössische Gesundheitsamt warb mit dem Spruch «Helm tragen. Oder beten». Das war eine fiese Schlagzeile, die suggeriert: Vernünftige Menschen schützen sich selber, dumme Menschen beten.

Wie schützt der Staat unsere Freiheit am wirkungsvollsten?
Wenn er seine Grenzen respektiert und die Politiker offen sagen, sie könnten die meisten Probleme auch nicht lösen. Mit Gesetzen kann man nur Übergriffe verhindern. Das ist nötig und gut! Aber die Freiheit schützen wir, indem wir konstatieren, dass wir Menschen nicht für alles zuständig sind und nicht für alles vorsorgen können. Und indem wir in Institutionen wie der Schule darauf achten, dass die Freiräume für den persönlichen Einsatz gewahrt bleiben.

«Die Wahrheit wird frei machen», sagt Jesus. Wie kann der Politiker dazu finden?
Sein Wort, sagt Jesus, führt zur Erkenntnis der Wahrheit. Dazu muss ich die grossen Zusammenhänge in der Bibel ebenso wie das einzelne, sehr präzise Wort bedenken, im Gebet, meditierend, im Gespräch. Den Politikern fehlen oft die kirchlichen Gesprächspartner. An wem liegt das? Respektvoll offene Gespräche zwischen den Politikern und den Pfarrern vor Ort müssten viel intensiver gepflegt werden.

Als Grunddokument der jüdisch-christlichen Tradition wird die Bibel kaum noch zur Kenntnis genommen. Welches sind die Folgen?
Das Problem ist, dass die Bibel kaum mehr bekannt ist. Eine Ursache liegt darin, dass es in der evangelischen Kirche vor 40 Jahren eine neue Ausrichtung im kirchlichen Unterricht gab. Die Katechetik wurde durch Religionspädagogik ersetzt. Nicht Inhalte wurden vermittelt, sondern gute Stimmungen.

So gibt es heute viele Konfirmierte, die weder von Abraham, den Zehn Geboten oder dem Heiligen Geist etwas wissen. In der Kirche müssen wir elementare Kenntnisse weitergeben, damit sich die Menschen ein eigenes, freies Urteil bilden können.

Ist die Schweizer Fahne noch ein Zeichen unserer Freiheit?

Unsere Fahne wird natürlich auch vermarktet. Doch das weisse Kreuz auf dem roten Hintergrund hat nach wie vor eine unerhört starke Aussage. Die rote Farbe steht für die Leidenschaft und das Blut, auch das unschuldig vergossene. Und das weisse Kreuz steht für die Präsenz von Jesus: Er hat sich geopfert und blieb in allem rein. Darüber wird zu wenig gepredigt.

Welches ist der grösste Preis unserer Freiheit?
Unsere geistig-geistliche Schwäche. Wir wollen keine Zwangsmassnahmen, die ins Innere der Menschen greifen. Wir wollen nicht, dass jemand uns geistlich schlagkräftig ausrichtet. Die Lehrer zum Beispiel dürfen in unseren weltanschaulich neutralen Schulen den Kindern nicht einmal sagen, dass sie beten sollen. So finden wir kaum mehr einen inneren Halt, der uns alle verbindet.

Wie kann das Gottvertrauen gestärkt werden?
Der Glaube kommt vom Hören. Oder wie es Luther sagt: Aus dem «Treiben und Reiben des Evangeliums». Je mehr ich das Wort Gottes kennengelernt habe, umso mehr ist mein Vertrauen gewachsen. Die Bibel hat zu allen Lebensfragen etwas Klärendes zu sagen. Das stärkt den Glauben.

Zur Person:
Pfarrer Dr. Bernhard Rothen, 56, ist verheiratet mit Susanne Rothen und hat zwei erwachsene Kinder. Theologie studierte er in Bern, Lund und Heidelberg, theater- und kunstwissenschaftliche Studien in Paris. Er war zuletzt Pfarrer am Basler Münster (1992-2010) und ist nun Pfarrer in Hundwil AR.
1990 erschien seinen Dissertation über das Bibelverständnis bei Martin Luther und bei Karl Barth, «Die Klarheit der Schrift», 2009 sein Buch «Das Pfarramt».

Datum: 31.01.2011
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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