Schweizer

Nach Bedarf religiös und ohne Bindung

Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer distanzieren sich von der Religion. Diese These formuliert eine Forschungsgruppe. Ihre Studie macht den Umbruch der vergangenen Jahrzehnte deutlich.
In der Stadt unterwegs.

Drei von fünf Schweizerinnen und Schweizern leben in Distanz zur christlichen Religion und zur Spiritualität. Die neue Studie des Nationalen Forschungsprogramms «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» (NFP 58) nimmt Distanz als einigendes Merkmal der weitaus grössten Gruppe in der einheimischen Bevölkerung an. Die anderen Gruppen sind: Institutionelle (praktizierende Christen), Alternative (Esoteriker) und Säkulare (Ungläubige).

Die repräsentative Umfrage zur Studie wurde 2009 gemacht, erstellt haben sie Jörg Stolz, Religionssoziologe an der Uni Lausanne, Judith Könemann, Mallory Schneuwly-Purdie, Thomas Englberger und Michael Krüggeler.

Mitglied, aber nicht religiös

Was ist unter Distanz zu verstehen? Der Bericht zur Studie enthält nähere Angaben zu dieser Gruppe, welche namentlich engagierten Christen und Kirchenverantwortlichen zu denken geben werden. Von den religiös Distanzierten sagten 48 Prozent, dass sie sich zwar zu einer Religion bekennen, aber sich nicht als spirituelle Person sehen, welche sich für das Göttliche oder Übersinnliche interessiert. Weitere 23 Prozent mögen sich auch nicht als Angehörige einer Religion sehen. 18 Prozent bekennen nicht, finden sich aber spirituell. Nur 12 Prozent bekennen und sehen sich als spirituell an.

24% der Distanzierten glauben nicht mehr an Gott, 12 Prozent glauben an Gott und sagen, früher sei dies nicht der Fall gewesen. 15% haben nie an ihn geglaubt (werden aber dennoch, wohl weil sie Kirchenmitglieder sind, zu den religiös Distanzierten gezählt). 49% sagten, dass sie gegenwärtig wie früher an Gott glauben.

Knick nach dem Krieg

Die religiöse Distanzierung der Massen scheint auf die 1950er Jahre zurückzugehen. In der fortschrittsgläubigen Aufbruchstimmung nach Jahren der Angst und Entbehrung verlor die angestammte Religion an Bedeutung. Die prägende Kraft der 1950er Jahre zeigt sich darin, dass von bis 1938 Geborenen 55% zu den Distanzierten gehören, von den 1939-48 Geborenen bereits 67 Prozent. Deutlich grösser ist der Anteil der religiös Distanzierten nur bei den unter 30-Jährigen (78%): Die Landeskirchen haben in den letzten zwanzig Jahren nochmals beträchtlich Rückhalt verloren. 

Die Kirchen – für die andern da

Die Studie reiht bei den Reformierten 70 Prozent unter die Distanzierten ein, bei den Katholiken 66 Prozent, bei den Freikirchlern 15 Prozent. Interessanterweise sind auch zwei von drei Konfessionslosen in dieser Gruppe, was auf Offenheit für Religiöses hindeutet.
Laut den Forschenden spricht eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung – unabhängig von der Gruppe – den Kirchen eine grosse Bedeutung für sozial Benachteiligte zu. Unwiderlegbar deutlich macht die Studie den anderen Sachverhalt: dass den Kirchen für das eigene Leben weniger Bedeutung eingeräumt wird.

Zum Thema:
Zusammenfassender Bericht der Studie

Datum: 08.04.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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