«#Be Sent» statt «Bleiben Sie zu Hause»
ist grundsätzlich ein anderer als zu Hause zu bleiben und uns einzuigeln im Luxus und der Sicherheit der Schweiz», erklärt Jürg Pfister, Leiter von «SAM global» im Interview mit Livenet.
Jürg
Pfister, rufen Sie unter dem Slogan «#BeSent» anstatt «Bleiben Sie zu Hause» zu
einer Corona-Kundgebung auf?
Jürg
Pfister: Nein,
definitiv nicht! Ich finde, unser Bundesrat und das BAG machen insgesamt einen
guten Job und ich sehe durchaus den Sinn der Aufforderung «Bleiben Sie zu Hause»
in dieser Pandemie, auch wenn das Umsetzen auch mich einiges kostet.
Welcher
Aufruf verbirgt sich dann hinter dem Titel?
Hinter
#BeSent stecken die letzten Worte von Jesus an seine Jünger, hinzugehen. Ich
möchte daran erinnern, dass unser Auftrag grundsätzlich ein anderer ist als zu
Hause zu bleiben, uns einzuigeln im Luxus und der Sicherheit der Schweiz. Jesus
hat den Luxus des Himmels verlassen und den Menschen ganzheitlich gedient,
indem er sie geheilt, befreit, genährt und ihnen die Chance für Versöhnung
untereinander und mit Gott angeboten hat. Und am Ende hat er diesen Auftrag
seinen Jüngern anvertraut: Gehet hin, be sent!
Wohin
können sich Menschen bei SAM global gegenwärtig senden lassen?
Wir
arbeiten in elf Ländern, aber in gewisse Länder können wir im Moment keine
Mitarbeitende aussenden. Doch wir suchen Mitarbeitende für Brasilien, Guinea,
Nepal, Sri Lanka und den Tschad. Wir haben Einsatzländer mit einem tiefen Human
Developement Index (HDI), wo es Sinn macht, den Menschen ganzheitlich zu dienen
und uns für Gerechtigkeit und Wahrheit einzusetzen, wie Jesus es uns vorgelebt
hat. Wir wollen mit Bildung – das heisst Aus- und Weiterbildung sowie Training
auf allen Ebenen – Leben nachhaltig verändern. Wir wollen auch einen Beitrag zu
den Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO leisten.
Warum
sollte jemand einen solchen Einsatz machen?
Dafür
gibt es viele Gründe! Einerseits weil wir dazu aufgefordert sind, andererseits
weil es einfach Sinn macht. Ich bin als Schweizer in der Schweiz geboren.
Warum? Was habe ich dazu beigetragen, dass ich nicht in der Wüste im Norden des
Tschads ums Überleben kämpfen muss? Dass ich nicht zu einer Volksgruppe gehöre,
die wie die Kurden oft auf der Flucht ist? Dass ich eine gute Schule, das
Gymnasium und schliesslich ein Masterstudium machen konnte? Dass ich die
verschiedenen Weltreligionen frei studieren und mich dann ohne Druck
entscheiden konnte, dass ich Jesus nachfolgen will, weil er mich mit Abstand am
meisten überzeugt hat? Nichts! Es ist ein unverdientes, geschenktes Privileg, im
Land zu leben, das nach Norwegen auf Platz zwei des Human Developement Index liegt. Habe ich da nicht den Auftrag, hinzugehen
und was ich kann weiterzugeben, damit auch andere Menschen durch praktische
Hilfe wie Ausbildung ein Stück mehr Perspektive finden, Chancen auf ein
würdiges Leben haben und Frieden finden durch den, der sie über alles liebt?
Ich war selber vier Jahre in Guinea in Westafrika im Einsatz, wohin ich heute noch jedes Jahr hinreise, wenn nicht gerade die Coronapandemie in vollem Gange ist. Was gibt es schöneres, als wenn ich Agronomen, medizinische Fachpersonen, Pastoren und Pastorenfrauen sehe, die heute einen guten Job machen und die wir vor vielen Jahren ausgebildet haben, als sie zum Teil ohne Perspektive von der Hand in den Mund lebten! Wer mit seinem Leben etwas bewirken will, das bleibt und wirklich nachhaltig ist, dem können wir gute Möglichkeiten anbieten!
Ab
wann sind solche Einsätze voraussichtlich wieder möglich?
In
den meisten Ländern bereits jetzt, auch wenn es dazu einen negativen COVID-Test
für die Einreise und zum Teil Quarantäne während bis zu zwei Wochen nach der
Einreise braucht. Alle unsere Mitarbeitenden sind wieder in den Einsatzländern
oder gleich vor Ort geblieben. Eine Familie allerdings hat jetzt fast ein Jahr
auf die Ausreise warten müssen – wir hoffen, dass es im Mai nun klappt.
Was
muss eine Person, die diesem Aufruf folgen will, mitbringen?
Die
Leidenschaft, den Menschen die Liebe Gottes weiterzugeben, dieser Hände und
Füsse zu geben, sie spürbar werden zu lassen. Die Bereitschaft, den Menschen
ganzheitlich zu dienen mit dem Know-how, das er respektive sie mitbringt. Eine
abgeschlossene Berufsausbildung ist selbstverständlich Bedingung. Wir können
medizinische Fachleute – zum Beispiel Orthopädietechniker/innen – ,
Lehrer/innen, Handwerker/innen, Baufachkräfte, Agronome/Agronominnen und vieles
mehr brauchen…
Menschen,
die solche Einsätze machen, erleben selbst Veränderungen; wie sehen diese aus?
Wir
merken erst, wie sehr wir Schweizer sind, wenn wir im Ausland leben. Zuerst
sehen wir alles durch die Schweizerbrille. Mit der Zeit verstehen wir den
Reichtum der Kultur vor Ort und plötzlich reflektieren wir auch unsere eigene
Kultur kritischer. Wir werden differenzierter und sensibler im Umgang mit
Menschen aus anderen Kulturen und wir sind nicht mehr einfach nur Schweizer.
Wir werden auch dankbarer für die Privilegien, die uns unverdient in die Wiege
gelegt wurden, einfach weil wir in der Schweiz geboren sind.
Immer
mehr ist dies alles ja eine globale Sache, auch Afrika sendet interkulturelle
Mitarbeitende aus – «transferiert» SAM global auch Mitarbeitende aus dem
globalen Süden in den Norden oder von einem Südland ins andere?
Vom
Süden in den Norden bis jetzt vor allem für punktuelle Einsätze wie Konferenzen
und so weiter. Oft ist es eine Herausforderung, dass Leute, die dafür nach Europa
kommen, dann vor allem ihre Landsleute aus dem Süden, aber nicht die lokale
Bevölkerung des Nordens erreichen. Ein Mitarbeiter, der in Brasilien im Einsatz
war, versucht, für Brasilianer die Brücken nach Portugal zu schlagen, was
spannend ist. Das ist unser konkretestes Engagement im Bereich Süd-Nord. Den
Süd-Süd Austausch fördern wir schon längere Zeit und haben Leute aus Äthiopien
nach Guinea eingeladen und umgekehrt oder Leuten aus Guinea in Burkina und Togo
die Aus- und Weiterbildung ermöglicht und so weiter. Da gibt es noch viel
Potential.
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Datum: 26.03.2021
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet