Lee Strobel

Ex-Journalist prüft Wunderberichte

Ist es überholt, an ein göttliches Eingreifen zu glauben? Der ehemalige Gerichtsreporter Lee Strobel hat sich in seinem neuen Buch «Wunder» auf eine Spurensuche begeben – und bietet erstaunliche Erkenntnisse.
Der ehemalige Journalist Lee Strobel macht sich in seinem Buch auf die Suche nach Wundern
Lee Strobel

1990 war Duane Miller Pastor der First Baptist Church in Brenham, Texas. Sein Leben änderte sich grundlegend, nachdem er sich eine Grippe eingefangen hatte. Das Virus hatte seine Stimmbänder befallen und das Nervengewebe irreparabel beschädigt. Miller besuchte 63 Spezialisten, zusammen mit deren Teams insgesamt 200 Ärzte. Doch niemand konnte ihm helfen. Zwar war er nicht völlig verstummt, aber mehr als ein Krächzen brachte er nicht heraus – und auch nur, wenn er aus Leibeskräften zu brüllen versuchte. Er musste seinen Pastorenberuf aufgeben, dauerhaftes Predigen schien unmöglich. Als ein Kollege im April 1992 ausfiel, übernahm er trotzdem widerwillig einen Predigtdienst.

Es ging ausgerechnet um einen Bibeltext über Heilung, Psalm 103. Miller fühlte sich schrecklich. Für ihn war klar, dass es nur eine oberflächliche Predigt werden könnte. Er sagte: «Ich glaube, dass Gott heilt.» Aber er dachte: «Aber warum nicht mich?» Alle hätten sich doch schon mal gefühlt wie in der «Grube», von der David spreche, fuhr er fort. Als Miller «Grube», englisch: «pit», sagte, löste sich die Blockade in seinem Hals, «als ob jemand seine würgende Hand weggenommen hätte». Plötzlich konnte er normal sprechen. Und fuhr fort: «Wir alle kennen die Zeiten, in denen sich unser Leben anfühlt wie in einer Grube, in einem Grab, und wir haben keine Antworten darauf.» Miller war überwältigt, die Zuhörer jubelten. Die Ärzte bestätigten: Die Stimme war voll wiederhergestellt, sie fanden keine Anzeichen eines früheren Stimmproblems.

Ein Wunder? Oder ein extrem unwahrscheinlicher Zufall?

Es sind Fälle wie diese, denen Lee Strobel in seinem neuen Buch «Wunder – Was ist wirklich dran?» auf den Grund geht. Strobel wurde bekannt durch Bücher wie «Der Fall Jesus» oder «Glaube im Kreuzverhör». Der Jurist war früher Gerichtsreporter der «Chicago Tribune», an Gott glaubte er nicht. Dafür war er zu skeptisch. Als seine Frau sich bekehrte, begann er, als Journalist Argumente gegen den Glauben an Gott zu finden. Doch statt den ultimativen Beweis gegen das Christentum zu finden, wurde er selbst Christ. Die Argumente für den Glauben waren für ihn erdrückend. Heute ist er Pastor.

Ein Gespräch mit einem Atheisten

In seinem neuen «Wunder»-Buch geht Strobel ähnlich vor wie bei früheren Themen. Seine Ausgangsfragen lauten: Ist es plausibel, an Wunder zu glauben? Gibt es heute noch Wunder? Welche Kriterien müssen gelten, um Wundergeschichten zu prüfen? «Wunder» sind dabei keine besonders schönen Erfahrungen wie die Geburt eines Kindes, sondern Gottes übernatürliches Eingreifen in seine Schöpfung. Dafür interviewt Strobel Kritiker und Befürworter, Theologen und Naturwissenschaftler, Ex-Christen und Pastoren. Das Ergebnis seiner Treffen verarbeitet er in Nacherzählungen der Gespräche mit den Experten.

Der Wissenschaftsjournalist Michael Shermer etwa lehnt jede Art von göttlichen Wundern ab. Früher war er selbst Christ und missionierte, heute lehnt er den Gottesglauben ab und bezeichnet sich als «Skeptiker», der passenderweise das atheistische Wissenschaftsmagazin «Skeptic» leitet. Er verlor endgültig den Glauben, als Gott seine durch einen Unfall querschnittsgelähmte Freundin nicht heilte. Wunder sind für ihn kein göttliches Eingreifen, sondern seltene Zufälle, für die es eine irdische Erklärung gibt.

An Wunder glauben oder nicht?

Ganz anders Craig Keener, der ein zweibändiges Werk über Wunder geschrieben hat. Auf mehr als 1'100 Seiten ging der Theologe Wunderberichten nach, nennt Namen, Daten und Fakten. Dabei stiess er auf unglaubliche Erkenntnisse: «Linsentrübungen und Kropfbildungen, die augenblicklich und sichtbar geheilt wurden. Gelähmte, die plötzlich laufen konnten. Multiple Sklerose, völlig geheilt. Gebrochene Knochen, die plötzlich zusammengewachsen sind. Taube hören. Blinde sehen. Die Stimme ist wieder da. Verbrennungsnarben verschwinden. Massive Blutungen werden gestillt, Nierenversagen geheilt. Rheumatoide Arthritis und Osteoporose – verschwunden. Tote werden zu Leben erweckt, sogar noch nach mehreren Stunden.»

Doch wer glaubt heute eigentlich noch an Wunder? Strobel selbst gab eine Umfrage in Auftrag. Demnach halten 51 Prozent der Amerikaner die Wunder der Bibel für echt, zwei Drittel halten Wunder auch heute noch für möglich. Die Religionswissenschaftlerin Candy Gunther Brown, selbst Christin, geht von einer Skala des Wunderglaubens aus, wie Strobel im Gespräch mit ihr erfährt. Auf der einen Seite der Skala gebe es die, die Wunder immer und zu allen Zeiten ablehnen. Die Menschen am anderen Ende sähen hinter allen guten Dingen eine göttliche Tat. Die Wissenschaftlerin selbst will vorurteilsfrei an die Untersuchung von Wunderberichten gehen. Es gebe durchaus ernstzunehmende Doppelblindstudien, die etwa auf die Wirksamkeit des Gebetes hinwiesen.

Unvorstellbar geringe Wahrscheinlichkeiten

Wer über Wunder schreiben will, kommt auch an der Schöpfung nicht vorbei. Strobel interviewt dazu den Teilchenphysiker Michael G. Strauss. Er erklärt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Planet wie die Erde entstehen könne: Sie tendiere gegen Null. Angesichts unvorstellbar geringer Wahrscheinlichkeiten sei es nicht irrational, an einen Gott zu glauben.

Strobel tritt bei seinen Gesprächen immer als Suchender auf. Das gibt dem Leser die Möglichkeit, seine Gedanken Schritt für Schritt nachvollziehen zu können. Nach und nach ergibt sich so ein Bild über Wunder, das durchaus differenziert ist. Nicht alles, was nach Wunder aussieht, muss auch eines sein. Doch wer an einen in der Geschichte wirkenden Gott glaubt, kommt auch an Wundern nicht vorbei. Es ist interessant, dass Strobel auch mit Kritik an den eigenen Reihen nicht spart. Zwar würden evangelikale Christen an die lebensverändernde Kraft des Heiligen Geistes glauben. Und doch seien viele bei einer radikalen Wiedergeburt doch überrascht, «dass es das noch gibt». Hier können sich sicher auch viele Christen in Deutschland wiederfinden, vielleicht sogar noch mehr als bei den Amerikanern, die ihren Glauben eher auf der Zunge tragen.

«Urteilen Sie selbst»

Der Baptist Roger Olson bescheinigt im Gespräch mit Strobel vielen Evangelikalen, dass sie durchaus viel beten würden. Doch viele meinten mittlerweile, nicht das eigentliche Anliegen werde durch Gebet verändert, sondern die betende Person. Olson macht den deutschen Theologen Friedrich Schleiermacher dafür verantwortlich, den «Vater der modernen liberalen Theologie, der das Bittgebet herabwürdigte als etwas, das Kinder tun, weil sie es nicht besser wissen». Evangelikale seien sich ihres Images bewusst, das häufig von radikalen oder besonders lauten Predigern geprägt werde. Die Folge davon sei: «Also trennen wir uns vom Übernatürlichen.» Vielen sei es geradezu peinlich, wenn sie heutzutage von einem Wunder berichten.

Als Fazit empfiehlt Strobel: «Urteilen Sie selbst!» Und folgt damit der Linie, die sich durch das ganze Buch zieht. Darin stellt er mehr Fragen, als er Antworten gibt. Viele seiner Experteninterviews liefern in der Tat neue Einsichten in die Frage, ob – und wenn ja, welche – Wunderberichte glaubhaft sind. Natürlich hat der Autor seine Gesprächspartner nicht ohne Grund ausgewählt, sondern bewusst überwiegend Wissenschaftler befragt, die gläubig sind. Natürlich versteckt der Christ Strobel seinen Standpunkt nicht. Dass er aber auch Atheisten zu Wort kommen lässt, bei seinen Glaubensgeschwistern kritisch nachfragt und sich mit einfachen Antworten nicht zufrieden gibt, verleihen Strobels Recherchereise Authentizität. Strobel versteht es als gelernter Journalist, auch komplexe Zusammenhänge aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen begreifbar zu machen. Auch dadurch gerät «Wunder – Was ist wirklich dran?» zu einem empfehlenswerten Buch, das inmitten einer Fülle an frommer Erbauungsliteratur durch seine rationale Herangehensweise besonders hervorsticht.

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Datum: 29.09.2019
Autor: Nicolai Franz
Quelle: PRO Medienmagazin | www.pro-medienmagazin.de

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