Neues Leben

Nach dem Unfall wurde alles anders

«Dieser Unfall musste sein.» Daran zweifelt der Unternehmer Peter Niedermann aus dem Zürcher Oberland keinen Moment. Doch sein Geschäft musste er aufgeben. Und auf die Fähigkeiten seines Kopfes kann er sich nicht mehr verlassen. Auf dem schwierigen Weg in eine neue Zukunft war ihm ein Pfarrer eine grosse Hilfe. 
Peter Niedermann

«Er ist gefahren wie ein ‹Gepickter›, mit über 50 Stundenkilometern», erzählt Peter Niedermann. «Er fuhr links am wartenden Auto vorbei, und unsere Köpfe knallten mit voller Wucht zusammen.» Auf einem Fussgängerstreifen war der damals 41-Jährige aus Sulzbach mit einem Rennvelofahrer zusammengeprallt. Fast zwei Tage lag er im Koma, hatte starke Prellungen an Kopf und Körper, gebrochene Rippen und ein mittelstark erschüttertes Gehirn. Nach dem Erwachen erinnerte er sich an nichts, weder an den Unfall, noch an Telefonnummern und andere Fakten, die bisher problemlos abrufbar waren. Zehn Tage später wurde er aus dem Spital entlassen. Äusserlich sah man ihm kaum mehr etwas an. Er solle sich zu Hause viel ausruhen, sein Hirn erhole sich mit der Zeit schon, wurde ihm gesagt. Weitere Therapien wurden nicht verordnet.

Ein anderer Kopf

Peter Niedermann war Unternehmer. «Mein Kopf war mein Kapital», betont er. Damit hatte er seine Beratungsfirma PNP im IT-Bereich aufgebaut, bis vier Mitarbeitende beschäftigt und sich einen komfortablen Lebensstil geleistet. Er konnte schnell, vernetzt und ganzheitlich denken und exklusive EDV-Konzepte anbieten. Diese berufliche Tätigkeit musste Niedermann aufgeben. Er braucht heute viel mehr Schlaf und Erholung. Eine gewisse Zeit kann er sich konzentrieren, «doch plötzlich fährt mein System runter». Er verhaspelt sich beim Reden, bekommt Gliederschmerzen, wird schnell müde und vergisst vieles. «Yvonne merkt es manchmal vor mir», beschreibt er die Symptome. Seine neue Lebenspartnerin ist sein «zweites Gehirn» und «ein Geschenk Gottes» für ihn.

Werkzeug Gottes

In der schwierigen Zeit nach dem Unfall wurde Peter Niedermann durch Freunde auf einen Alphalive-Kurs aufmerksam gemacht. Er entschloss sich, daran teilzunehmen. «Für die Kursleiter war ich eine rechte Herausforderung», erklärt er schmunzelnd. «Ich bin ein sehr kritischer Mensch.» Peter Niedermann hatte Gott als einengende Instanz in Erinnerung. Bei Christen nahm er die Kluft zwischen Sein und Schein genau wahr. Thomas Bachofner, reformierter Pfarrer und Kursleiter, spürte, was Peter Niedermann brauchte. «Thomas war ganz klar ein Werkzeug Gottes. Er redete auf Augenhöhe mit mir und engte mich nicht ein.» Der Perfektionist Niedermann konnte sein Herz neu öffnen, fand den Weg zurück zu Gott. «Ohne den Unfall wäre das nicht passiert», meint er. Voll Wissensdurst nahm er nach dem Alpha-Kurs auch am Beta-Kurs teil, den der Pfarrer anbot.

Neue Lebensaufgaben

Von seiner Art her ist Peter Niedermann Unternehmer geblieben. Gerne gibt er sein Wissen und seine Lebenserfahrungen weiter, sei es an andere Hirnverletzte  oder  als Verwaltungsrat beim Aufbau einer neuen Internetplattform für Kunst. «Solange ich nicht operativ tätig sein muss, geht es recht gut.» Mit seiner Lebenspartnerin engagiert er sich zudem als Regionalberater für das Zürcher Oberland bei der Stiftung Pro Integral. Diese unterstützt Menschen mit Hirnverletzungen und ihre Angehörigen bei der Umstellung auf die neue Lebenssituation. Weiter betätigt er sich aktiv in der Kirche. Bei einzelnen Gottesdiensten engagiert er sich als Techniker. Der stets Aktive musste aber lernen, sich so zu organisieren, dass er genug Pausen und Erholungszeit einhalten kann. «Yvonne hilft mir dabei», meint er mit liebevollem Blick zu der zierlichen Frau neben ihm. Gemeinsam ist das Paar unterwegs auf den neuen Wegen ihres Glaubens und ihres gemeinsamen Lebens mit Hirnverletzung.

(leicht gekürzt)

Zum Thema:

Datum: 20.07.2012
Autor: Mirjam Fisch-Köhler

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