Strassenexerzitien

Meine Stadt in Gottes Augen

Lassen sich Gottes Spuren auf der Strassen von München finden? Dieser Frage ging Peter Aschoff zusammen mit einigen anderen Christen aus Deutschland nach. Sie trafen sich mit Pater Christian Herwartz in München zu «Strassenexerzitien» - und erlebten dabei die umtriebige bayrische Hauptstadt von einer ganz neuen Seite.
Unterwegs in den Strassen von München
Pater Christian Herwatz
Peter Aschoff

Pater Christian Herwatz gehört zu den «Kreuzberger Brüdern». Er lebt und arbeitet in einer Wohngemeinschaft mitten im Berliner Kiez. Und genau in dieser nicht besonders glaubensfreundlichen Atmosphäre hat der 71-jährige Jesuit das Konzept der Strassenexerzitien entwickelt: Für ihn bedeutet dies, Sehen und Hören zu üben. Nach aussen und in sich hinein. Dem Ort, an dem man sich befindet, eine besondere Achtsamkeit entgegenzubringen. Was bewegt den Beter? Was bewegt die Menschen in der Stadt?

Städte – die Wüsten des 21. Jahrhunderts

Peter Aschoff ist einer der Teilnehmer dieser Strassenexerzitien in München. Einer Stadt, die wie kaum eine andere von Wohlstand, Stolz und Macht bestimmt wird, von Designerläden und Wirtschaftskonzernen. Er beschreibt seine Erfahrungen so: «Wir haben uns im spirituellen Zentrum St.Martin getroffen, auf der Empore des Kirchenraumes geschlafen, morgens gemeinsam gefrühstückt und gebetet und uns anschliessend jeder für sich in den Rummel und Lärm der Stadt gestürzt.»

Einer der Vorbilder ist Mose, der sich auf dem Sinai über das bekannte Territorium hinausgewagt hatte und Gott im brennenden Dornbusch begegnet war. Denn «Städte sind die Wüsten des 21. Jahrhunderts. Mauer- und Betonwände strahlen die Einsamkeit aus, die diese Orte durchdringt, so wie es Felsen und Sand taten, als die Wüstenväter die Zentren des weltlichen Christentums verliessen, um Gott neu zu finden.»

Exerzitien der Strasse

Die Christen, die sich auf den Weg in die Stadt machen, folgen dabei keinem festgelegten Plan. Sie suchen einfach Orte auf, die sie normalerweise als Touristen nicht besucht hätten: Suppenküchen, Flüchtlingsheime, Aids-Hilfen, Moscheen, buddhistische und jüdische Zentren. Ausserdem fragen sie Passanten danach, wo man ihrer Ansicht nach Gott begegnen könne. Spät nachmittags trifft sich die Gruppe wieder, isst, feiert das Abendmahl und bespricht, was am Tag geschehen ist. Da geht es um die besuchten Orte und die Menschen, die sie getroffen haben, um Ängste, Ärger und Sehnsüchte. Aschoff betont: «Meistens geschah es in dieser Zeit, dass die Dinge plötzlich einen Sinn für mich ergaben.» Anders als andere in der Gruppe geht er kaum in die grossen Münchner Kirchen – sie kommen ihm vor «wie zu grosse Kleider, die ihrem Besitzer längst nicht mehr passen». Beim Nachdenken darüber, ob und wie weit diese Gebäude heute noch passen, wird ihm bewusst: «Vielleicht ist manch eine ‚Theologie der heilige Räume’ genau das: der Beweis für unsere Unfähigkeit, Gott in dieser chaotischen, diversen, ruhelosen und manchmal feindseligen Welt zu entdecken?»

Begegnung mit Engeln

Beim abendlichen gemeinsamen Nachdenken über den Tag gibt es lautes Lachen genauso wie Tränen. Und zwischen den berührenden Berichten entsteht manchmal der Eindruck, dass die Teilnehmer Engeln begegnet sind. Natürlich nicht weiss gewandeten Wesen mit Flügeln, wohl aber Gesandten Gottes, die sie ganz neu auf Gott und seine Gegenwart hingewiesen haben. Auf dem Heimweg zieht Peter Aschoff Fazit: «Ich gehe mit einem tiefen Bewusstsein für Gottes Gegenwart, voll Hoffnung, und ich atme frei.»

Die Erfahrungen, die man bei solchen und ähnlichen Übungen macht, sind sicher individuell sehr unterschiedlich. Wer sich allerdings in seiner Umgebung auf die Suche nach Zeichen für Gottes Gegenwart macht, der wird wie Mose immer wieder Orte finden, an denen er seine Schuhe auszieht und weiss: Hier wohnt Gott.

Peter Aschoff ist Theologe und Mitarbeiter bei ELIA, einer experimentellen Gemeinde innerhalb der evangelischen Landeskirche.

Zur Webseite:
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Datum: 12.11.2015
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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