Spiritualität in der Medizin

Ein neuer Forschungszweig verschafft sich Bahn

Spiritualität scheint in der Medizin immer noch ein Schattendasein zu führen. Doch etwas ist in Bewegung gekommen, wie René Hefti, Chefarzt der Klinik SGM in Langenthal bestätigt.
SGM-Chefarzt René Hefti erläutert die Ergebnisse des Forschungsinstituts für Spiritualität und Gesundheit.

Spiritual Care – die Berücksichtigung der geistlichen Bedürfnisse bei der Pflege von Menschen im Klinikalltag, ist jetzt auch an der Uni angekommen, wie René Hefti gegenüber dem Magazin INSIST ausführt. An der Universität München wurde 2010 ein Lehrstuhl für «Spiritual Care» eingerichtet. Er ist aus der Palliativmedizin heraus entstanden. Hefti: «Das Anliegen war, 'Spiritual Care' akademisch zu verankern. Die Studierenden lernen hier, wie man eine spirituelle Anamnese macht. Sie sollen die Zusammenhänge von Spiritualität und Krankheitsbewältigung erkennen.» Ein vergleichbares Projekt gebe es auch für die Universität Zürich. Es sei von den Kirchen im Kanton Zürich initiiert worden.

Forschung hat neue Erkenntnisse geliefert

Die «Religion, Spirituality and Health-Forschung», die vor 30 Jahren in den USA begonnen hat und nun auch in Europa Fuss fasst, bringt laut Hefti ständig neue Erkenntnisse hervor oder bestätigt klinische Erfahrungen. Eine Gruppe in Genf befasst sich mit schizophrenen Patienten und untersucht, in welcher Weise ihnen der Glaube hilft, ihre Krankheit zu bewältigen. Die Ergebnisse seien erstaunlich. Hefti: «Für mehr als die Hälfte der Patienten ist der Glaube eine Stütze in der Krankheitsbewältigung und gibt ihnen Sinn trotz Krankheit.»

Weil die religiöse Landschaft in Europa anders ist als in den USA, war man gespannt, ob sich die Ergebnisse der amerikanischen Studien in Europa wiederholen lassen. Der SGM-Chefarzt: «Ich selbst konnte in Österreich eine Studie durchführen, die den Einfluss der Religiosität und des Gebets auf Herzoperationen untersucht hat. Dabei zeigte sich, dass religiöse Patienten nach der Operation kürzere Spitalaufenthalte und weniger Komplikationen haben.» Die Effekte seien aber schwächer als in den amerikanischen Arbeiten. In den USA beteten allerdings 40-50% der Menschen täglich und gingen einmal pro Woche in den Gottesdienst. In Österreich seien es nur etwa 20%. Hefti: «Bei den Leuten, die beten, ist die Wirkung aber grundsätzlich dieselbe.»

Forschung zu Spiritual Care in der Schweiz

Die Klinik SGM hat eine klinikinterne Forschungsabteilung eingerichtet, welche die Heilungsverläufe der Patienten beobachtet. «2013 wollten wir wissen, ob sich durch die Behandlung die Religiosität verändert. Dazu haben wir mehrere Aspekte der Religiosität untersucht: die allgemeine religiöse Einstellung, die Gefühle gegenüber Gott (positiv und negativ), die Vergebungsbereitschaft, die religiösen Bewältigungsstile und das Sinnempfinden.» Alle diese Dimensionen hätten sich während der Therapie verändert, am Stärksten die Gefühle gegenüber Gott und das Sinnempfinden – und damit auch das Gottesbild.

Ein weiterer Schwerpunkt sei die Untersuchung der Stresstoleranz. Hierzu wurden im Rahmen einer Doktorarbeit 32 junge Menschen untersucht. «Wir haben sie gestresst, indem wir ein Vorstellungsgespräch simulierten. Wir wollten wissen, wie stark der Blutdruck ansteigt und wie schnell er wieder in die Ausgangsposition zurückgeht», verrät René Hefti. Das Resultat: «Bei den religiösen Studienteilnehmern war der Blutdruck schneller wieder unten, was auf eine bessere Regulationsfähigkeit des Herzkreislaufsystems hinweist.»

Der dritte Schwerpunkt bildet eine Fragebogenstudie unter Schweizer Ärzten. Man will dabei mehr über ihre religiöse Einstellung erfahren und darüber, wie sie den Zusammenhang zwischen Glaube und Gesundheit sehen. «Wir sind sehr interessiert, weitere Ärztinnen und Ärzte zu finden, die sich an dieser Studie beteiligen», so Hefti.

Datum: 28.04.2014
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / Magazin INSIST

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