Russische Pastoren riskieren Gefängnis
Im Jahr 2023 durchsuchten russische Sicherheitskräfte sowohl sein Haus als auch seine pfingstkirchliche Gemeinde. Sie beschlagnahmten zehn Computer und weitere Geräte. Im Juni 2024 setzte ihn die Regierung auf eine offizielle Liste ausländischer Agenten – er ist nun «ausländischer Agent Nr. 814».
Ratkin ist überzeugt, dass er wegen seines Engagements für den Frieden ins Visier genommen wurde. In Interviews mit westlichen Medien und auf seinem russischsprachigen YouTube-Kanal äusserte er seine Ablehnung des Krieges. «Christen sollten sich nicht am Krieg beteiligen», sagt er, «und sie sollten ihn auch nicht unterstützen.»
Hoher Preis möglich
In Russland kann der öffentliche Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine einen hohen Preis haben. Präsident Wladimir Putin duldet keinen Widerspruch – und wer sich ihm widersetzt, stirbt nicht selten unter mysteriösen Umständen. Doch Ratkin redet weiter Klartext.
«Mein Gewissen ist mir wichtiger – und mein Glaube auch», sagt er gegenüber «Christianity Today». «Deshalb kann ich als religiöser Leiter meines Landes nicht schweigen.»
Im Visier des Kremels
Im Oktober durchsuchten russische Sicherheitskräfte auch das Haus des Pfingstpastors Nikolaj Romanyuk am Stadtrand von Moskau. Ihm drohen bis zu sechs Jahre Haft wegen «öffentlicher Aufrufe zu Handlungen, die gegen die Sicherheit der Russischen Föderation gerichtet sind.» In einer Predigt hatte er erklärt, Christen sollten sich nicht am Krieg beteiligen, und sich dabei ausdrücklich auf die Heilige Schrift berufen.
Laut der norwegischen Menschenrechtsorganisation «Forum 18» setzt Russland verschiedene Mittel ein, um religiöse Führungspersonen zur Unterstützung des Krieges zu bewegen – darunter Gefängnisstrafen und Geldbussen.
Dutzende Klagen
Solche Repressionen kennt auch Ratkins Gemeinde. Allein im Jahr 2020 musste sie sich gegen ein Dutzend Klagen verteidigen. In den vergangenen Jahren hat Putin weitere Gesetze erlassen, um jede Kritik am Krieg zu zensieren und Oppositionelle mundtot zu machen. Heute reicht es, die ukrainischen Farben zu tragen oder ein leeres Schild hochzuhalten, um verhaftet zu werden.
«Russland ist extrem repressiv geworden», sagt Ratkin. «Jeglicher Widerspruch wird strafrechtlich verfolgt.» Christen in Russland, die mit dem Kreml nicht übereinstimmen, stehen vor schwierigen Entscheidungen: Welche Aktionen bewirken etwas – und welche führen nur zu Leid?
Gefängnis oder Tod
«Viele Russen sind im Gefängnis gelandet oder gestorben», sagt Andrej Furmanow, ein evangelischer Pastor aus Wyborg nahe der finnischen Grenze. «Wir werden die Wahrheit weiterhin aussprechen, aber wir müssen klug und sehr, sehr weise wählen, auf welchem Hügel wir bereit sind zu sterben.»
Furmanow konzentriert sich darauf, Männern in seiner Gemeinde zu helfen, religiöse Ausnahmen vom Militärdienst zu beantragen. Mit seinen Briefen an die Behörden konnte er erreichen, dass Gemeindemitglieder Zivildienst in Krankenhäusern und Altenheimen leisten durften. Auch in sozialen Medien spricht er sich gegen den Krieg aus – öffentliche Proteste meidet er wegen ihrer geringen Wirkung.
Manche fliehen ins Ausland
Andere Christen haben sich entschlossen, das Land zu verlassen. Der Baptistenpastor Juri Sipko floh 2023, nachdem seine Predigten als «feindliche Propaganda» bezeichnet wurden und er wegen seiner Antikriegsäusserungen strafrechtlich verfolgt wurde.
«Ich hatte kein Vertrauen in ein faires Verfahren», sagte Sipko. Hätte er in Russland ausgeharrt, wäre er wahrscheinlich zu zehn Jahren Haft verurteilt worden.
Juri Sipko weiter: «Das russische Regime schränkt die bürgerlichen und religiösen Freiheiten auf allen Ebenen ein. Die Regierung hat die kirchlichen Aktivitäten stark reglementiert – faktisch ein Missionsverbot. Ich beschloss, das Land zu verlassen – und mit Gottes Hilfe gelang mir die Flucht.»
«Es muss eine Stimme der Wahrheit geben»
Auch Ratkins Sohn, David Viktor Ratkin, lebt nicht mehr in Russland. Wegen seiner Beteiligung an der Oppositionsbewegung «Protest Moskau» wurde er mehrfach verhaftet. Er hielt Reden auf Kundgebungen und demonstrierte für den inzwischen im Gefängnis verstorbenen Antikorruptionsaktivisten Alexei Nawalny.
David Ratkin floh über die Türkei nach Mexiko und von dort in die USA. Derzeit lebt er in Louisiana und wartet auf seine Asylanhörung.
Albert Ratkin hat beschlossen zu bleiben – und weiter gegen den Krieg in der Ukraine zu protestieren. Ihm ist bewusst, dass Konsequenzen drohen – womöglich schon bald. Trotzdem bleibt er standhaft. «Ich glaube, hier muss es eine Stimme der Wahrheit geben. Alles andere ist unwichtig.»
Zum Thema:
Dossier: Ukraine-Konflikt
Christen fürchten Trump-Deal: Russlands Kreuzzug gegen evangelische Christen
Durch russische Kräfte: 600 Kirchen in der Ukraine vernichtet
Datum: 11.04.2025
Autor:
Jill Nelson/Daniel Gerber
Quelle:
Christianity Today/Übersetzung: Livenet