«Die Dargebotene Hand»

Wertvolle Hilfeleistung durch aktive Zuhörende

Franziska Nydegger
Menschen haben Nöte und brauchen jemanden, an den sie sich wenden können. Seit Jahrzehnten sind Mitarbeitende von «143.ch Die Dargebotene Hand» für Hilfesuchende da. Im Interview erzählt Franziska Nydegger von dieser Arbeit, die so wichtig ist.

Franziska Nydegger ist seit fünf Jahren Stellenleiterin von 143.ch – Die Dargebotene Hand Bern. Sie ist ausgebildete Sozialarbeiterin mit einem Masterabschluss in den Schwerpunkten Gemeinwesenarbeit, Ethik und Management. Zuvor hatte sie im öffentlichen Sektor, für verschiedene Hilfswerke und für kleinere NGO’s gearbeitet.

Können Sie uns etwas über die Ursprünge von «Die Dargebotene Hand» erzählen?
Franziska Nydegger:
Die Ursprünge der Telefonberatung liegen in England. Ein junger anglikanischer Priester namens Chad Varah wurde gebeten, die Trauerfeier für eine junge Frau abzuhalten, die sich das Leben genommen hatte. Dieses einschneidende Erlebnis bewegte ihn tief. Jahre später veröffentlichte er eine Anzeige in einer Zeitung mit den Worten: «Bevor Sie sich das Leben nehmen, rufen Sie uns an.» Daraufhin meldeten sich zahlreiche Menschen, die Hilfe suchten. Um diesen Menschen beizustehen, mobilisierte Varah Freiwillige aus seiner Kirchengemeinde. Diese führten Gespräche mit den Hilfesuchenden, während sie im Warteraum sassen, um ihnen die Zeit zu verkürzen. Oft verliessen die Menschen nach diesen Gesprächen erleichtert die Kirche, da bereits dieser Austausch ihnen neuen Mut geschenkt hatte. Aus dieser einfachen, aber wirkungsvollen Idee entstand ein Erfolgsmodell: die Arbeit mit Freiwilligen. Heute gibt es in 24 Ländern über 20’000 freiwillige Mitarbeitende, die ähnliche Gespräche wie jene von 143.ch am Telefon führen.

1957 entstanden die ersten Stellen der Dargebotenen Hand in Zürich und St. Gallen. Am 28. März 1959 gründeten der Reformierte Pfarrverein und die Evangelische Gesellschaft die Telefonseelsorge Bern. 1981 erhielt die Dargebotene Hand die schweizweite Kurznummer 143 und seit 2010 werden auch Beratungen per Chat und Mail angeboten.

Haben die Kirchen heute noch eine Bedeutung für die Arbeit?
Mit grossen finanziellen Beiträgen und Kollektensammlungen finanzieren die reformierten und katholischen Kirchen sowie das Evangelische Gemeinschaftswerk einen wesentlichen Teil unseres jährlichen Budgets. Sie unterstützen unsere Arbeit und wirken in strategischen Belangen des Vereins mit.

Im Zentrum des Angebots von 143.ch steht die Begegnung am Telefon. Die Gespräche von Mensch zu Mensch sind geprägt von Offenheit, Respekt und einfühlsamem Verstehen. Die Grundhaltung basiert auf einem humanistischen Menschenbild, das aus der christlichen Herkunft gewachsen ist. Wir orientieren uns an den Fähigkeiten der Anrufenden, respektieren ihre Autonomie und ermutigen sie, eigene Lösungen zu finden. Wir leisten im weiteren Sinne eine seelsorgerliche Beratung, die von allen Menschen in Anspruch genommen werden kann – unabhängig von ihrer Glaubensrichtung. Die Anrufenden werden dabei weder politisch noch religiös oder ideologisch beeinflusst. Die Begleitung erfolgt ohne jegliche Erwartungshaltung. Dennoch sind die Mitarbeitenden offen für religiöse Themen oder Anliegen.

Auf welchen Kanälen kann Hilfe gesucht werden? Und wer bedient diese Kanäle?
Wir sind telefonisch über die Nummer 143 sowie online per Chat und Mail erreichbar. Die Anrufenden und Schreibenden treffen auf gut ausgebildete, freiwillige Mitarbeitende. In einem achtmonatigen Ausbildungskurs werden diese intensiv in Gesprächsführung («aktives Zuhören») sowie in Themen wie Sucht, psychische Gesundheit, Suizidalität und Kindes- und Erwachsenenschutz geschult. Praktika bei erfahrenen Freiwilligen runden die Ausbildung ab. Nach der Ausbildung nehmen die Freiwilligen an monatlichen Supervisionen und regelmässigen Weiterbildungen teil.

Viele der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben oft viele Jahre dabei. Was sind die Gründe dafür?
Unsere freiwilligen Mitarbeitenden berichten, dass sie bei der Arbeit für 143.ch eine grosse Sinnhaftigkeit erleben. Jedes Gespräch, das dem Gegenüber etwas Erleichterung oder Hoffnung für die Zukunft schenkt, jedes Gespräch, das mit einem Dank endet, zeigt ihnen, wie bedeutsam diese Tätigkeit ist. Mehr noch: Jedes Gespräch, in dem eine Verbindung zustande kommt, eine Begegnung, ein Dialog zwischen Anrufenden und Begleitenden entsteht, nährt und inspiriert auch die Zuhörenden. Oft erzählen sie, dass sie beschenkt und dankbar sind nach der Arbeit. Sie fühlen sich zudem in der Gemeinschaft unserer mittlerweile über 70 freiwilligen Mitarbeitenden getragen und schon so manche Freundschaft ist durch das Engagement bei uns entstanden. Zum Würdigen der Arbeit feiern wir zwei Mal jährlich ein lebendiges und schönes Dankesfest.

Was sind die häufigsten Probleme der Hilfesuchenden?
Die Themen, die die Anrufenden mitbringen, sind so vielfältig wie das Leben selbst: Erziehungsfragen, Familienthemen, Paarbeziehungen, Probleme am Arbeitsplatz oder im Studium, Verlust und Trauer, psychisches Leiden, Sucht, Existenzprobleme sowie Suizidgedanken und -absichten.

Wie gross ist die Nachfrage? Können Sie uns ein paar Zahlen nennen?
Täglich erhalten wir hier in Bern rund 60 Anrufe. Im Jahr 2024 führten wir 15’857 Gespräche am Telefon, 1’215 Chatgespräche und beantworteten 216 Mails. Gesamtschweizerisch werden jährlich über 200’000 Gespräche geführt.

Welche Bedeutung hat «Die Dargebotene Hand» heute?
Das Bedürfnis, anonym mit einem Menschen sprechen zu können, ist nach wie vor sehr gross – das zeigt die weiterhin hohe Nachfrage. Die Anonymität und Vertraulichkeit sind oft entscheidend: Die Anrufenden müssen sich nicht erklären, nicht sagen, wer sie sind. Sie können ihre Anliegen schildern und mit einer neutralen Person besprechen. Oft hilft es, die eigenen Gedanken zu sortieren und gemeinsam einen möglichen Weg zu finden.

Ob dies in Zukunft von einer künstlichen Intelligenz übernommen werden kann, bleibt offen. Wir glauben jedoch, dass ein Gespräch von Mensch zu Mensch nicht zu ersetzen ist.

Zur Website:
Die dargebotene Hand

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Datum: 20.03.2025
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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