Ja zur «Ehe für alle» – Kompetenz bleibt bei Kantonalkirchen
Die Abgeordneten folgten damit dem Antrag des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK). Mit 45 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen wurde die zivilrechtliche Ehe für gleichgeschlechtliche Paare befürwortet. Die Befürworterinnen und Befürworter nahmen vorwiegend Bezug auf früher bezogene Positionen des Kirchenparlaments, wonach sich kein Mensch seine sexuelle Orientierung aussuche, das sei der Schöpfungswille Gottes.
Vier Anträge lagen vor
Im Zusammenhang mit der Ehe für alle hatten die Abgeordneten über vier Anträge des SEK-Rats zu befinden:
- 1. Befürwortung der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare auf zivilrechtlicher Ebene.
- 2. Empfehlung an die Mitgliedkirchen, den allfällig neuen zivilrechtlichen Ehebegriff für die kirchliche Trauung vorauszusetzen.
- 3. Empfehlung an die Mitgliedkirchen, die Wahrung der Gewissensfreiheit für Pfarrerinnen und Pfarrer bezüglich der kirchlichen Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren in den Reglementen ihrer Landeskirchen vorzusehen.
- 4. Empfehlung an die Mitgliedkirchen, Trauungen gleichgeschlechtlicher Paare in die Trauregister aufzunehmen und die Liturgie gleich zu gestalten wie die Trauungen heterosexueller Paare.
Lebhafte Debatte
Wie die Agentur sda meldet, sei der Abstimmung eine lebhafte Debatte vorausgegangen. Es gab Voten, die den Entscheid ganz den lokalen Kirchgemeinden überlassen wollten und solche, die den Beschluss hinausschieben und Zeit gewinnen wollten. Gewarnt wurde vor der Ausgrenzung einer Minderheit, die theologisch anders denke. Wie «reformiert» schreibt, sei die Diskussion der Abgeordneten «kontrovers, aber von einem versöhnlichen Ton getragen» geführt worden.
Kompetenz liegt bei den Kantonalkirchen
SEK-Ratsmitglied Sabine Brändlin betonte, dass dieser Beschluss kein Entscheid sei zur landesweiten Einführung der kirchlichen Trauung und Ehe für Homosexuelle. Diese Kompetenz liege nun bei den Kantonalkirchen. Der SEK-Rat empfehle aber seinen Mitgliedkirchen, den allfälligen neuen zivilrechtlichen Ehebegriff für die kirchliche Trauung vorauszusetzen. Dabei soll aber die Gewissensfreiheit der Pfarrpersonen wie für alle anderen Kasualien gewahrt bleiben. Gleichzeitig war es der Abgeordnetenversammlung wichtig zu betonen, dass auch nach dem heutigen Entscheid verschiedene Eheverständnisse in der reformierte Kirche Platz hätten.
Klare Mehrheit für die Öffnung der Ehe
Nicht angenommen wurde die Empfehlung, die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare in die Trauregister einzutragen und sie liturgisch gleich zu gestalten wie die Trauung heterosexueller Paare. Das wurde von einer Mehrheit als überflüssig betrachtet. In der Schlussabstimmung stellten sich die Abgeordneten mit klarer Mehrheit von 49 zu 11 Stimmen hinter das Dokument zur «Ehe für alle». Damit wird den evangelischen Kirchen der Schweiz empfohlen, nicht nur hinter eine Öffnung der Ehe im Zivilrecht zu stehen, sondern sich gleichzeitig für kirchliche Trauungen für homosexuelle Paare zu öffnen.
Der Nationalrat wird voraussichtlich in der Frühjahrssession 2020 über die Gesetzesvorlage «Ehe für alle» beraten. In der Vernehmlassung hatten sich die SVP und die EVP dagegen ausgesprochen. Aus der nationalrätlichen Vorlage ausgeklammert wurden die sensiblen und rechtlich komplexen Fragen der Fortpflanzungsmedizin.
Professor Stolz: «Eine kluge Strategie»
In einem Interview mit «Watson» hatte sich Jörg Stolz, Professor für Religionssoziologie an der Universität in Lausanne, zum Thema geäussert. Stolz forscht im Bereich der Säkularisierung, der lokalen religiösen Gemeinschaften und des Evangelikalismus. Auf die Frage, ob es für die schrumpfende reformierte Kirche eine Chance sei, sich bei «Ehe für alle» progressiv zu positionieren, antwortete Stolz: «Es sieht ganz danach aus, als wäre genau das die Strategie vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und dessen Präsident Gottfried Locher.» Er sei zwar kein Unternehmensberater für Kirchen, meinte der Religionssoziologe weiter. In Anbetracht der sich «unglaublich schnell und unglaublich stark» verbreitenden Akzeptanz von Homosexualität, sei es aber «schon klug, da als Kirche mitzuhalten». Ob es theologisch sinnvoll sei, sei eine andere Frage, meinte Professor Stolz.
Freikirchenpräsident: «Ehen zwischen Mann und Frau stärken»
Der Präsident des Verbandes VFG Freikirchen Schweiz, Peter Schneeberger, bedauert den Entscheid der Abgeordnetenversammlung: «Damit bewegen sich die Schweizer Reformierten bei der Ehefrage ausserhalb der Meinung der Weltkirchen.» Sowohl die orthodoxe Kirche, die römisch-katholische Kirche als auch die meisten Freikirchen lehnten die Ehe für alle ab.
Schneeberger: «Die Ehe zwischen Mann und Frau behält aufgrund ihres Potentials aus unserer Sicht einen Sonderstatus und ist auf der Schöpfungsordnung Gottes gegründet.» Deshalb engagierten sich die Schweizer Freikirchen auch in Zukunft für eine Stärkung von Ehen und Familien.
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Datum: 06.11.2019
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: idea Schweiz