Warum wir uns freiwillig ausspionieren lassen
Die Digitalisierung des Lebens durch Mailverkehr, Social Media, Einkaufen im Netz via Kreditkarte, E-Banking, Suchmaschinenabfragen etc. hat viele alltägliche Aktivitäten erleichtert und beschleunigt. Die Kehrseite ist, dass sich dabei individuelle Daten und Aktivitäten automatisiert aufzeichnen und auswerten lassen. Bei meinen Überlegungen blende ich der Einfachheit halber einmal alle illegalen Hacker-Aktivitäten und alle Geheimdienst-Operationen aus.
Unsere Spur wird aufgenommen
Am 7. November 2014 schrieb Béatrice Acklin Zimmermann in der NZZ: «Wer im Internet einkauft, Geldüberweisungen tätigt und Flüge bucht, hinterlässt eine so lange Datenspur, dass einem die Aufregung über die in früheren Jahren im Rahmen der Volkszählungen gesammelten Datenmenge geradezu lächerlich vorkommen muss. Im Unterschied zu damals hat sich heute über die ganze Gesellschaft ein unsichtbares Überwachungsnetz gespannt, das die Geheimhaltung persönlicher Informationen und Bewegungen erschwert und eine Aufweichung der Privatsphäre bewirkt.» Im gleichen Artikel wird Google-Chef Eric Schmidt zitiert: «Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun.»
Eigentlich kann niemand behaupten, nicht wissen zu können, was möglich ist im Blick auf das Sammeln und Auswerten von digitalen Informationen. Eine beunruhigende Darstellung liefert Yvonne Hofstetter in ihrem Buch «Sie wissen alles. Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen».
Verschiedenste Organisationen zeigen einen unersättlichen Appetit nach persönlichen Daten von Individuen wie Sie und ich. Dank leistungsfähiger Datenerfassung und effizienter Datenspeicherung werden diese gesammelt und mit Hilfe von intelligenten Algorithmen ausgewertet. Mittlerweile erstellen Detailhändler individuelle Kundenprofile, wenn sie anhand der Kundenkarten den persönlichen Warenkorb auswerten. Oft stehen ökonomische Interessen im Vordergrund: Wer die Vorlieben seiner Kunden kennt, kann ihnen zielgerichtet Werbung zukommen lassen.
Warum wir uns das gefallen lassen
Die immer öffentlicher gewordene Privatsphäre soll hier weder aus technischer, noch aus juristischer oder politischer Perspektive betrachtet werden. Vielmehr geht es um die Frage, wieso sich sogenannt aufgeklärte Bürger diese Ausspionierung gefallen lassen.
Freiheitliche Selbstbestimmung und eine geschützte Privatsphäre sind für die psychische Gesundheit des Menschen von grosser Bedeutung. Welche psychologischen Mechanismen führen dazu, dass Menschen so Wertvolles leichtfertig preisgeben? Lassen sie sich durch Rabatte oder Vergünstigungen ködern (Nutzen-Maximierung)? Ist es die Tatsache, dass viele Apps das Leben komfortabler machen (Convenience-Trend)? Sind es narzisstische oder exhibitionistische Tendenzen, die zu grosszügigen Selbstdarstellungen via Social Media führen? Vielleicht ist es eine Mischung all dieser Beweggründe.
Wie auch immer: Wer unbedarft mit seinen Daten die Big Data-Systeme dieser Welt füttert, muss sich fragen lassen: «Weisst du auch, was du tust? Ist dir bewusst, dass das Netz nichts vergisst und nichts vergibt?»
Wer seine Privatsphäre schützen will, kann sich nur bedingt auf Datenschutzgesetze verlassen. Die hinken in der Regel hinterher. Der Schutz der eigenen Privatsphäre ist Sache jedes Einzelnen. Aus der Kenntnis der technischen Möglichkeiten kann jeder für sich ableiten, was er oder sie preisgeben will und was nicht. Gleichzeitig muss diese Problematik öffentlich diskutiert werden und in entsprechende Gesetze und Verhaltensregeln von Unternehmen zum Schutz der Privatsphäre einfliessen.
Der Autor
Dieter Bösser MTh und MSc UZH ist Theologe und Psychologe. Er leitet die Arbeit der VBG unter Berufstätigen.
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Datum: 19.01.2015
Autor: Dieter Bösser
Quelle: Livenet / Magazin INSIST