Lernbereitschaft: Mit Demut und Neugier
Thomas Eggenberg: Gestern habe ich die Pastoren im Netzwerk Zürich besucht und dabei einiges gelernt: dass gelebte Beziehungen wichtig sind für die Zugehörigkeit zur BewegungPlus; dass Zugehörigkeit zur BewegungPlus die Identität prägt und so positive Veränderungen im Dienst ganz natürlich ausgelöst werden; dass es wichtig ist, eine gute Fehlerkultur zu pflegen und nicht Dinge zu verschweigen; dass klärende Gespräche besser sind als Mails zu schreiben. Diese Dinge sind nicht alles neue Erkenntnisse, aber ich habe definitiv dazugelernt.
Was war in diesem Fall entscheidend, dass es zu diesem
Lernen gekommen ist?
Meine Offenheit, gut hinzuhören und
aufzunehmen. Natürlich war es in diesem Setting einfach. Da war viel Vertrauen
und gegenseitige Offenheit vorhanden. In anderen Situationen, wenn ich mich
nicht wertgeschätzt oder sicher fühle, ist das schwieriger.
Lernen braucht also die
Atmosphäre von Vertrauen. Was können wir zu dieser Atmosphäre beitragen?
Wenn ich misstrauisch bin, werde ich
wenig lernen. Es ist deshalb gut, wenn ich Vorurteile ablege und mit einem
Vertrauensvorschuss in ein Gespräch gehe, soweit das möglich ist. Noch
wichtiger scheint mir aber mein Selbstvertrauen, das in Gott gründet. Wenn ich
weiss, wer ich bin und was ich kann, brauche ich keine Angst vor Neuem zu
haben.
Was ist symptomatisch für einen Menschen, der lernbereit
ist?
Spontan kommen mir zwei Merkmale in den
Sinn: Das erste ist Neugier. Wer neugierig ist, lässt sich auf andere ein, hat
Interesse, will mehr erfahren und wissen. Ich bin überzeugt, dass Gott die
Neugier in uns hineingelegt hat. Wir interessieren uns dafür, Menschen kennen
zu lernen und Dinge zu erforschen.
Freikirchen sind nicht
unbedingt als Erstes dafür bekannt, dass sie gerne Neues kennen lernen wollen.
Woran liegt das?
Ich weiss es nicht. Ich bin mir auch
nicht sicher, ob sie das sein sollten. Wir orientieren uns am Reich Gottes, an
Jesus, an der Bibel. Das hat immer auch eine bewahrende Seite. Vielleicht sehen
und nutzen wir das progressive und freiheitliche Potenzial zu wenig, das unser
Glaube hat.
Sie haben von zwei Merkmalen gesprochen. Welches ist das
zweite?
Die Demut: Ich weiss, dass ich nicht
alles weiss und dazulernen kann. Besserwisserei und Stolz sind doch ziemlich
nahe beieinander. Sichtbar wird das daran, dass ein Mensch nicht nur spricht,
sondern auch zuhört. Und wenn er spricht, macht er nicht nur Statements,
sondern stellt auch Fragen.
Welche Frage tragen Sie
zurzeit mit sich herum?
Wie können wir unsere
Gesellschaftskompetenz erhöhen, in Alltag und Beruf? Was bedeutet das
Evangelium für uns und wie können wir das klarer kommunizieren? Wie kann ich
besser zuhören? Wie verbinden wir Leiterschaft und Partizipation sinnvoll? Wie
lernen wir, die Schönheit Gottes und der Welt besser wahrzunehmen? Das ist nur
eine kleine Auswahl…
Manchmal scheint mir, dass eine lernende Haltung auf Kosten von starken Überzeugungen geht: Wer
überzeugt ist, kann nicht gleichzeitig fragend sein. Wie geht das gesund
zusammen?
Ich empfinde das eher umgekehrt: Je
überzeugter ich bin, desto besser kann ich mich auf andere Standpunkte
einlassen. Wenn ich nämlich unsicher bin, dann wage ich es gar nicht erst, mich
richtig auf jemanden einzulassen, weil ich Angst habe, dass ich meine bisherige
Überzeugung verliere. Beides – Überzeugung und Fragen – geht für mich Hand in
Hand.
Das verstehe ich nicht ganz.
Wenn ich etwas gelernt habe, dann hat
sich eine Überzeugung in mir gefestigt. Und das brauche ich auch nicht ständig
zu verändern oder anzupassen. Dazu kommt, dass gesunde Fragen sehr wohl auch
Überzeugungen stärken oder weiterentwickeln können. In allen Begegnungen zu
lernen bedeutet ja nicht, dass ich alles unkritisch übernehme. Wer offen ist
für alles, ist nicht ganz dicht. Aber ich fokussiere mich nicht darauf, etwas
besser zu wissen, sondern meine Erkenntnis zu erweitern.
Wie steht es um die Lernbereitschaft der BewegungPlus?
Dieser Wert ist schon lange präsent,
und wir haben ihn recht gut verinnerlicht.
Und woran sehen Sie das?
Lernbereitschaft zeigte sich im Umgang
mit Fragen von Scheidung und Wiederheirat oder der Frage nach der
Frauenordination. Wir haben Respekt gegenüber anderen christlichen Traditionen
und sind dialogfähiger geworden. Was mich am meisten freut: Wir leben diesen
Wert ja nicht nur gegen aussen, sondern auch gegen innen.
Wo sehen Sie aktuell für die BewegungPlus das dringendste Lernfeld?
Da kommt mir nichts anderes als die
Vision in den Sinn: Wie können wir vom Reich Gottes geprägt werden und unser
Umfeld damit durchdringen? Wie können wir von Jesus Wahrheit und Barmherzigkeit
lernen? Wie können wir unser Leben gestalten, dass Gottes Liebe sichtbar wird?
Wie ist es möglich, das Evangelium in unserer Kultur glaubwürdig zu bezeugen?
Mir scheint, das gutbürgerliche und bequeme Leben ist und bleibt eine grosse
Herausforderung für uns.
Zum Thema:
Thomas Eggenberg: «Der Heilige Geist macht die Gemeinde lebendig»
Neuer BewegungPlus-Präsident: Thomas Eggenberg: «Mehr Himmel auf Erden»
Bibellesen: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Datum: 31.03.2019
Autor: Christian Ringli
Quelle: BewegungPlus online