Das Geheimnis der Bratpfanne
Ich lag auf dem Sofa und hatte wegen meiner Schmerzen keinen Sinn für das herbstliche Farbspektakel vor meinem Fenster. Es war kalt im Haus und ich hatte die Krankenschwester – die vorerst letzte in einer langen Reihe von Krankenschwestern – gebeten, ein Feuer zu machen. Mrs. Harmon sprach kein Wort, als sie die Holzklötze hereintrug, wobei sie jeden auf Armlänge von ihrem weissen, steif gebügelten Kittel weghielt. Wortlos hielt sie ein Streichholz ans Feuer und verschwand mit dem Tablett in der Küche – das Essen, das darauf stand, hatte ich nicht angerührt.
Mrs. Harmons Schweigen passte zu meiner Stimmung. Die Stille hatte etwas Ehrliches, eine Ehrlichkeit, die man nur noch selten findet, wie ich mir voller Bitterkeit sagte.
Was war aus mir geworden?
Ich arbeitete als Immobilien-Maklerin, war nicht sehr erfolgreich, aber ich kannte alle Tricks und Finessen. Schon lange war mir klar, dass die Welt von den Unehrlichen regiert wurde und dass der Rest sich dagegen verteidigen muss. Mit jedem Jahr verstärkte ich den Ring der Verteidigung, den ich um mich aufgebaut hatte, ein bisschen mehr, indem ich noch ein wenig zynischer und gleichgültiger wurde.
Manchmal erschrak ich vor dem harten, verschlagenen Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegen blickte. Aber Hoffnung, dass sich daran etwas ändern würde, hatte ich wenig. Und jetzt hatte mich zu allem Überfluss auch noch diese Arthritis zu einem halben Krüppel gemacht! Seit Wochen war ich nicht ausser Haus gekommen; ich hatte ständig Schmerzen. Ich konnte wirklich nichts Gutes darin erkennen: die Verkäufe, die mir durch die Lappen gegangen waren, die erzwungene Langeweile, das Leiden.
Dann kam Mrs. Harmon mit der Bratpfanne. In den folgenden Stunden wurde ich Zeugin eines kleinen Dramas, das mich meine Krankheit in einem neuen Licht sehen liess – das mein Leben mit Hoffnung erfüllte. Denn an diesem Nachmittag im Herbst durfte ich sehen, wie Gott auch aus Leid etwas Gutes entstehen lassen kann.
Die Pfanne im Feuer
Mrs. Harmon achtete sorgsam darauf, die Bratpfanne von sich wegzuhalten, wie zuvor die Holzklötze. «Jetzt beschwert sie sich gleich wieder über irgendwas», dachte ich. Sie hätte leider auch allen Grund zur Klage gehabt. Die Pfanne war wirklich ein altes, hässliches Ding aus Gusseisen, in den vielen Jahren hatte sich eine dicke Kruste darauf gebildet. Ich hätte sie schon längst wegwerfen sollen, aber sie hatte Mutter gehört. Sie erinnerte mich an glücklichere, einfachere Zeiten. Ich hatte versucht, sie sauber zu kriegen. Ich hatte sie eingeseift und abgeschrubbt und abgekratzt. Es war kaum ein Tag vergangen, an dem ich sie mir nicht vorgenommen hatte, aber dieser hartnäckige Kruste war einfach nicht beizukommen.
«Und jetzt», dachte ich, «bekomme ich wohl einen Vortrag zum Thema Sauberkeit in der Küche.» Mrs. Harmon sagte allerdings kein Wort. Sie trug die empörende Bratpfanne zum Kamin, blieb stehen und legte sie vor meinen Augen auf zwei Klötze über das Feuer. Erst an der Küchentür sagte sie wieder etwas. «Haben Sie schon mal gesehen, wie Feuer eine Pfanne reinigt?», fragte sie.
Den Rest dieses kurzen Oktobernachmittags verbrachte ich damit, fasziniert zuzusehen, wie das Feuer seine Arbeit machte. Zuerst fing die alte Pfanne an zu knistern und zu rauchen, als wollte sie sich über diese schlechte Behandlung beschweren. Aber nach einer Weile blieb sie still. Ein schwaches Leuchten durchzog sie, zuerst rot, dann fast schon weiss.
Während ich wie hypnotisiert zusah, gab es plötzlich ein leises «Ping». Ein Stück der uralten Kruste sprang ab und fiel ins Feuer. Ein paar Minuten danach löste sich das nächste Stück, dann noch eines. Dieser Reinigungsprozess dauerte den ganzen Nachmittag, bis schliesslich das Feuer langsam ausging und die Pfanne ihre Farbe vom glühenden Weiss zurück ins Rot wechselte und zuletzt wieder schwarz wurde. Ein leuchtendes, tiefes Schwarz war das, wie das einer neuen Pfanne. Nein, sogar noch schöner. Wie das einer Pfanne, die im Feuer poliert worden war.
Wie Gott aus Leid Gutes bewirkt
Als die Dämmerung allmählich das Zimmer verdunkelt hatte, kam Mrs. Harmon aus der Küche, bewaffnet mit mehreren Topflappen. Sie griff in den Kamin und holte die leuchtende Pfanne heraus. Einen Moment lang nahm sie sie schweigend in Augenschein. Dann begann sie mit leiser Stimme zu reden.
«Auch Menschen gehen durchs Feuer», sagte sie bedächtig. «Eine Krankenschwester sieht so etwas ständig.» Sie sah auf die Pfanne herab. «Ich habe Männer und Frauen gesehen, die danach so rein waren wie diese Pfanne.»
Aus dem Buch «Genug Liebe für ein ganzes Leben – und andere wahre Geschichten, die das Herz berühren», erschienen bei Gerth Medien.
Datum: 08.03.2022
Autor: Miriam Hinrichs
Quelle: «Genug Liebe für ein ganzes Leben» / Gerth Medien