Sind Christen links oder rechts?
Tim Costello leitet das evangelisch-soziale «Micah Network» in Australien und beobachtet diese Polarisierung: «Bei einem christlichen Treffen sagte mir kürzlich ein Pastor, er sei besorgt darüber, dass viele junge Menschen in seiner Kirche nach links tendierten. Ich fragte ihn, ob er ebenso besorgt darüber sei, dass einige seiner Jugendlichen rechtslastig würden. Er antwortete: 'Nein'.» Costello bemerkt: «Das warf für mich eine existenzielle Frage über die Politik Jesu auf. Warum polarisieren wir Christen oft und ziehen uns in unterschiedliche politische Lager zurück?»
Gegen was waren die Propheten?
Costello nimmt ein Wort des Prophet Maleachi als Beispiel: «Und ich werde kommen, um euch zu richten. Ich werde als Zeuge gegen die Zauberer, die Ehebrecher und die Lügner auftreten und gegen diejenigen, die Arbeiter um ihren Lohn bringen und die Witwen, Waisen und Ausländer unterdrücken, denn sie haben keinen Respekt vor mir» (Maleachi 3,5, Neues Leben-Übersetzung) und kommentiert: «Die Rechten scheinen immer die Ehebrecher und Zauberer – die moralischen Fragen – und die Linken die Fragen der Gerechtigkeit und der Unterdrückung aufzugreifen». Aber die Politik Gottes führt über Links und Rechts hinaus: Beide Problemfelder, das ethisch-moralische und das soziale werden von den Propheten ungeschminkt angesprochen.
Salz und Licht
«In der Bergpredigt sagt Jesus, dass wir das 'Salz' und das 'Licht' sein sollen, das die Welt dringend braucht», so Costello weiter: «Die Rechte ist wie Salz: Salz konserviert und stabilisiert unsere Werte, so wie es die Konservativen im besten Fall tun wollen. Die Linken bevorzugen Jesu Bild vom Licht, das die Dunkelheit aufdeckt und für eine sofortige Veränderung kämpft. Aber Salz und Licht sind beides Eigenschaften, die Christen besitzen sollten.»
«Veränderung jetzt» oder «noch nicht»?
Jesus macht klar, dass das Reich Gottes, die neue Ordnung, die er verkörpert, bereits da ist, aber noch nicht in seiner ganzen Fülle. Einige Ungerechtigkeiten werden bleiben, bis er wiederkommt.
Costello beobachtet: «Die Linke verlangt Veränderung im 'Jetzt', aber ihre Gefahr ist, dass sie die grosse Eschatologie des christlichen Glaubens in Frage stellt. Die Ansicht, dass das Licht jetzt geschehen muss – dass es möglich ist, den 'Himmel auf Erden' in diesem Zeitalter zu schaffen –, greift zu weit und lässt Demut vermissen. Die Rechte dagegen ist stark im 'Noch nicht': Gott hat das Sagen. Aber so wird die Dringlichkeit, in Fragen der Gerechtigkeit zu handeln, wie Klimawandel, Waffenkontrolle und Flüchtlinge, tendenziell vernachlässigt. Das kann warten, bis Jesus kommt, meint man.»
Gegen jede Form der Bigotterie …
Billy Graham sagte 1981 mit Blick auf die Verhältnisse in den USA: «Ich möchte keine religiöse Bigotterie in irgendeiner Form sehen. Es würde mich stören, wenn es eine Ehe zwischen religiösen Fundamentalisten und der politischen Rechten gäbe. Die harte Rechte hat kein Interesse an der Religion, ausser um sie zu manipulieren.»
Der christliche Glaube müsse vermeiden, von «links» oder «rechts» vereinnahmt zu werden, argumentiert Costello mit einem kritischen Blick auf genau diese «Ehe» unter Ex-Präsident Trump. Reflektierter Glaube müsse stattdessen «tiefer gehen und versuchen, die Dinge zu bewahren, die bewahrt werden müssen, und gleichzeitig die Dinge zu beleuchten, die verändert werden müssen.»
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Datum: 02.09.2021
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet.ch / Eternity