Frommer Irrtum

Die Krone der Schöpfung

Aufklärung zur Krone der Schöpfung
Der Mensch ist die Krone der Schöpfung - oder? Steht das wirklich so in der Bibel? Der Theologe Ulrich Wendel geht dieser Aussage von Christen nach und schaut, was dran ist.

«Heute ein König!» Die älteren unter uns wissen, was das bedeutet: Mithilfe eines bestimmten Hopfengetränks darf man sich am Feierabend einmal so richtig grossartig fühlen. Sagt die Werbung. Und die noch älteren wissen, was die «Krönung» des Kaffeegenusses ist. Manchmal muss es einfach das Beste sein. Sagt die Werbung.

Als Gott die Welt schuf – was war da sein bestes Werk? Immer wieder ist die Rede von der «Krone der Schöpfung». Damit ist der Mensch gemeint. Mit ihm setzt Gott seinem Werk also die Krone auf. So sagen es nicht nur (manche) christlichen Bibelwissenschaftler, sondern auch Stimmen in der jüdischen Schriftauslegung. Aber stimmt das?

Gemeinsamer Tag, gemeinsamer Lebensraum

Es stimmt nicht so richtig. Schon eine sprachliche Beobachtung sollte uns zurückhaltend machen: Von einer Krone ist im Schöpfungsbericht nirgends die Rede. Es ist meist nicht gut, eine text-fremde Vorstellung in biblische Gedankenbögen einzublenden.

Klar, der Mensch ist Gottes letztes, abschliessendes Schöpfungswerk. Das war dann nicht mehr zu toppen. Aber den sechsten Schöpfungstag teilt sich der Mensch mit den Landtieren. Wir kamen gemeinsam mit den Salamandern, Pferden, Gürteltieren und Katzen in die Welt. Der biblische Bericht hat hier eine feine Nuance. Bevor Gott von den Landtieren zum Menschen übergeht, holt er quasi noch einmal tief Luft: «Lasst uns Menschen machen.» Aber eben am selben Schöpfungstag. Wir sind den Landtieren Seite an Seite zugeordnet. Wir teilen uns denselben Lebensraum. Natürlich haben wir den Tieren viel voraus. Sie sind keine Ebenbilder Gottes – wir schon. Aber wenn wir nach einer «Krone der Schöpfung» suchen, dann werden wir sie woanders finden.

Was die wahre Krone ist

Denn nachdem Gott den Menschen schuf, war er ja noch nicht fertig. Vollendet wurde das ganze Schöpfungswerk erst am siebten Tag. Gott ruhte da von seinen Werken. Und er segnete und heiligte abschliessend – wen oder was? Den Menschen? Oder die ganze Schöpfung? Nein, den siebten Tag! Den Sabbat. Der Sabbat ist die Krone der Schöpfung! So lernen wir es wiederum von jüdischer Schriftauslegung.

Für uns Menschen ist der Sabbat der Tag des Ruhens und des Empfangens – er sollte es zumindest nach Gottes Idee sein. Wir sind hier also weder als Macher noch als Verwalter gefragt. Viele von denen, die den Menschen als «Krone der Schöpfung» bezeichnen, meinen dabei vermutlich: Er hat so überlegene Fähigkeiten, er kann die Welt um sich herum formen, er ist Gott besonders nah. Davon stimmt nur das Letzte. Die Krönung besteht aber eben nicht darin, dass wir unser Potenzial voll ausspielen, sondern dass wir ruhen, Segen empfangen – und gerade so Gott besonders nah sind.

Gekrönt mit Herrlichkeit und Ehre

In 1. Mose 1 und 2 steht nichts von einer Krone, habe ich gesagt. Doch damit haben wir noch nicht ausgeschöpft, was die Bibel uns zum Thema sagt. Denn es gibt einen anderen Zusammenhang, der Schöpfung und Krone durchaus verbindet. Und zwar den 8. Psalm, einen Schöpfungspsalm. Hier wird die Überlegenheit des Menschen hymnisch besungen. Angesichts des Universums (Himmel, Mond und Sterne) erscheint er winzig. Aber im Vergleich mit den Tieren ist er ganz hoch hinaufgerückt, nahe zu Gott hin, nur wenig geringer als die Engel. Und nun kommt die Krone ins Spiel: «Mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.»

Damit rückt die Bibel unser Gedanken-Mobiliar zurecht (so wie sie es ja oft macht): Der Mensch ist nicht die Krone, aber er trägt eine Krone. Er hat sie empfangen. Dass wir Menschen so nahe an Gott sind, dass wir über unsere belebte Mitwelt herrschen sollen (auch Psalm 8 spricht davon) – das bedeutet schon eine erhebliche Würde. «Herrlichkeit und Ehre» glänzen aus unserer Krone heraus. Aus jedem von uns, egal welcher Nation und welchem Glauben wir angehören.

Es ist eine «eingerahmte» Ehre, mit der Gott uns krönt. Denn die Zeile, die von unserer Krone spricht, ist in Psalm 8eingerahmt vom Beginn und Abschluss des Psalmgebets. Und da geht es um Gottes Ehre. Sie erstreckt sich über die ganze Erde (während der Mensch über einen Ausschnitt, nämlich die Tiere, herrscht). Der Rahmen (Vers 2 und 8) und die Mitte (Vers 6, unsere Krone) sind wie mit einer feinen gestrichelten Linie miteinander verbunden: Gottes Ehre wird mit der hebräischen Wurzel «’adar» benannt und die Ehre des gekrönten Menschen mit der Wortwurzel «hadar». Unsere Krone strahlt. Aber darum herum strahlt Gottes Ehre – das rahmt und «formatiert» die Hoheit, die Gottes Wort uns zuspricht.

Die zweite Krone

Und nun finden wir im Buch der Psalmen noch eine zweite Krone, die den Menschen gegeben ist. Wir sind – nach Psalm 103, Vers 4 – mit «Gnade und Erbarmen» gekrönt. Das ist eine erkennbar andere Krönung als in Psalm 8. Dort glänzt die Krone quasi nach aussen, hin zur Welt, mit Herrlichkeit und Ehre. «Gnade und Erbarmen» benennt demgegenüber das, was Gott an uns tut. Unsere Beziehung zu Gott leuchtet auf. Diese Krone wirkt auf mich intimer. Sie rührt mehr an das, was ich von innen her als Mensch bin.

Wem ist diese zweite Krone gegeben? Den Menschen, die Gott erlöst hat, denen er vergeben hat, die in der Bundesgeschichte mit seinem Volk stehen. Das ist ein wichtiger Unterschied zur Psalm-8-Krönung. Die galt dem Menschen als Geschöpf. Die Psalm-103-Krone gilt dem Menschen als Erlöstem. Und erst mit dieser zweiten Krone kommen wir Gott wirklich nahe. Erst so erleben wir ihn als Vater. Noch so ein Unterschied: Psalm 8 preist Gott als Herrscher, Psalm 103 preist ihn als Vater.

Doppelt gekrönt

Was bedeutet das für die Redeweise vom Menschen als «Krone der Schöpfung»?

  • Nein, wir sind nicht die Krone der Schöpfung.
  • Der Sabbat ist die Krone der Schöpfung – da, wo wir Segen empfangen.
  • Wir tragen aber eine Krone, die Gott uns gab.
  • Und wir brauchen eine zweite Krone, die Gott uns gibt – die der Gnade und Erlösung.
  • Erst so füllen wir voll aus, was Gott sich für uns als Menschen gedacht hat.
  • Schon mit unserer «ersten Krone» haben wir Vollmacht und Recht, über Geschöpfe zu herrschen – und zwar im Rahmen von Gottes Ehre, die uns Ort und Mass gibt.

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Datum: 14.04.2025
Autor: Ulrich Wendel
Quelle: Magazin andersLeben 01/2025, SCM Bundes-Verlag

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