Grenzen der Dogmatik

Spannungsfelder verstehen und aushalten

Im christlichen Glauben gibt es unumstössliche Wahrheiten, aber auch viele Themen, die bei genauem Betrachten ein Spannungsfeld darstellen. Im Livenet-Talk spricht Joel Suter darüber, wie das ICF damit umgeht.
Joel Suter

Auffahrt 2022: Erneut findet über diese Tage eine grosse ICF Konferenz in «The Hall» in Dübendorf statt. Die Veranstaltung trägt den Namen «Kingdom Come». Anlässlich dieser Konferenz spricht Livenet-Chefredaktor Florian Wüthrich mit Joel Suter, Pastor des ICF Luzern und theologischer Berater des ICF Movements.

Theologischer Berater im ICF Movement

Als begeisterter Theologe unterrichtet Joel am ICF College und steht darüber hinaus dem Movement Team bei theologischen Fragen unterstützend zur Seite. Hierzu hat er innerhalb des ICF Movement eine kleine Anstellung. «Als ich vor zwei Jahren in diese Anstellung gekommen bin, haben wir uns gefragt, was eine gesunde theologische Grundlage fürs ICF Movement ist.» Bei diesen Überlegungen wurde ihm wichtig, dass eine gemeinsame Theologie nicht (nur) anhand einer Dogmatik beschrieben werden kann.

«Leo Bigger hat schon immer gesagt: Theologie definieren wir nicht, sonst streiten wir darüber», erzählt Joel. «Ich finde, er hat recht.» Damit ist die Frage aber nicht beantwortet, welche theologischen Richtlinien fürs ICF hilfreich oder nötig sind. «Ich kam dann auf die Idee, mit unseren Pastoren über theologische Spannungsfelder zu sprechen.»

Theologische Spannungsfelder

«Es gibt Dinge, die keine Spannungsfelder sind und die gelten bei uns als unumstössliche Wahrheiten.» Als Beispiel erwähnt Joel das Apostolische Glaubensbekenntnis, welches Wahrheiten in wenigen Worten festhält. Dabei geht es darum, dass Jesus für uns gestorben und dann auferstanden ist, dass der Heilige Geist in uns lebt und andere Inhalte dieser Art. «Aufbauend auf diesen Glaubensbekenntnissen finden wir in der Bibel viele Spannungsfelder. Und ich glaube, dass ein gesunder Leiter es schafft, diese Spannungsfelder auszuhalten.»

Joel spricht von einer «Mutter aller Spannungsfelder»: «Das Reich Gottes ist bereits gekommen, gleichzeitig sind wir aber Teil einer unvollkommenen Schöpfung.» Hier erzählt er, wie sein dritter Sohn nur dreizehn Tage alt wurde – und dies obwohl Christen überall auf der Welt beteten und Glauben für die Heilung des Jungen aussprachen (Livenet berichtete). In dieser Zeit stand er mitten in genau diesem Spannungsfeld. Einerseits sagte er: «Mein Sohn ist gestorben», was ihn zu Zweifeln an der Wirksamkeit von Gottes Reich hätte führen können. Andererseits konnte er aber festhalten: «Gottes Reich ist da, ich erlebe inmitten dieser Krise den Frieden Gottes.»

Gottes Reich ist zwar schon gekommen, hat sich aber noch nicht in jedem Bereich entfaltet. «Alle Spannungsfelder, über welche wir nachdenken, entstammen diesem Spannungsfeld», ist Joel überzeugt. Dabei geht es einerseits darum, den Glauben an Wunder zu kultivieren, gleichzeitig aber auch die realen Nöte der Menschen ernst zu nehmen.

Spannungsfelder aushalten und nicht dogmatisch lösen

«Das Schöne an Spannungsfeldern ist, dass sie viele Freiheiten zulassen.» Verschiedene Betonungen sind normal. Wenn gut darüber gesprochen wurde, können aufkommende extreme Haltungen einfacher angesprochen werden.

«Wir haben viele Spannungsfelder über die Kirche oder die Nachfolge von Jesus.» Dazu gehört auch die Spannung, sowohl «erneuert», gleichzeitig aber auch «unvollkommen» zu sein. «Wir glauben, dass wir den Heiligen Geist in uns haben und durch ihn erneuert wurden. Gleichzeitig sind wir täglich von Gottes Gnade abhängig.» Zahlreiche solcher Spannungsfelder müssen ausgehalten werden.

Zwei ungesunde theologische Strömungen

Joel sieht in der Kirche von heute zwei ungesunde theologische Strömungen. Da ist einerseits das Fundamentalistische. «Da werden einzelne Bibelverse genommen und gesagt: Jeder muss es genau so machen.» Auf der anderen Seite erkennt Joel eine ungesunde Art von Liberalismus. «Es geht darum, alles, was im Glauben einen Preis kostet, rauszunehmen.» Beim Lesen der Bibel sei aber unschwer zu erkennen, dass die Nachfolge einen Preis kostet. Moralische Einschränkungen oder das Bewusstsein von Sünde passen aber leider nicht zum individuell und humanistisch geprägten Menschen.

«Wir haben also das Überfundamentalistische und das Liberale. Gleichzeitig sind können wir in der Zeit von YouTube alle Prediger der Welt in kürzester Zeit hören.» Und genau hier haben Pastoren eine Verantwortung, gewisse Lehren zu beurteilen. So müsse vielleicht mal gesagt werden: «Was dieser Prediger sagt, ist zwar nicht wirklich falsch, bewegt sich aber am äusseren Rand des Spannungsfeldes.» Und dann gelte es, in der Bibel zu forschen, was diese sonst noch zu entsprechender Thematik sagt.

Das ganze Gespräch kann hier verfolgt werden:

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Datum: 27.05.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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