Neuer Gesetzesentwurf würde Bulgariens Christen stigmatisieren
Livenet: Viktor Kostov, die Religionsfreiheit könnte in Bulgarien wieder eingeschränkt werden. Was ist der Hintergrund dafür?
Viktor Kostov: Im Mai
2018 haben die drei führenden Parteien im Parlament, also die BSP (Bulgarische
Sozialistische Partei), die GERB (Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens)
und die DPS (Bewegung für Rechte und Freiheiten) einen Gesetzentwurf zur Beendigung der finanziellen Freiheit
für Kirchen und religiöse Organisationen vorgelegt. Bald darauf hat eine
nationalistische Koalition im Parlament, die Vereinigten Patrioten, einen noch
drakonischeren Gesetzentwurf eingebracht, der, wie wir betonen, die
Religionsfreiheit im Land praktisch beenden würde. In den Monaten nach der
Einreichung dieser Vorschläge reichte unsere Anwaltsgruppe zusammen mit zwei
evangelisch-freikirchlichen Konfessionen eine Erklärung beim Parlament, dem
Premierminister und anderen hohen Beamten ein, um gegen die Gesetzesvorlagen zu
protestieren, die einen offenen Versuch darstellen, die in der bulgarischen
Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Freiheiten
zu verletzen.
War diese Entwicklung absehbar oder kommt sie für Sie eher überraschend?
Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus vor etwa 30 Jahren hat sich die
Atmosphäre in Richtung Religionsfreiheit im Land verbessert. Das kommunistische
Religionsgesetz von 1949 wurde 2003 durch die Verabschiedung des derzeitigen Gesetzes aufgehoben.
Seit Ende der 90er Jahre habe ich Dutzende von Fällen gegen das Eindringen der Regierung in die Religionsfreiheit der Christen behandelt. Das neue Religionsgesetz würde die Religionsfreiheit im Land praktisch beseitigen. Im Allgemeinen kommen diese Bemühungen von Sozialisten, also der ehemaligen kommunistischen Partei, und nationalistischen Organisationen, die die östlich-orthodoxe Kirche als eines der Symbole der bulgarischen nationalen Einheit betrachten. Die demokratisch orientierten Parteien wollen die Religionsfreiheit nicht so sehr einschränken.
Was sind die Probleme in der
neuen, möglichen Gesetzgebung?
Die vorgeschlagenen Einschränkungen sind so drastisch, dass sie die
Christen wieder stark einschränken und die Kirche praktisch entweder in den
Untergrund treiben oder sie zu einer Erweiterung des Staates machen. Konkrete Forderungen sind:
- Pastoren dürften nur noch in staatlich anerkannten
und kontrollierten Schulen ausgebildet werden.
- Alle Missionsarbeit ist verboten oder stark
einschränkt, es sei denn, sie wird von der Zentraldirektion für Religionen
genehmigt.
- Finanzierung von Kirchen aus dem Ausland ist
verboten, nur noch kontrollierte Finanzierungen innerhalb Bulgariens ist
möglich.
- Verboten wäre die Nutzung von «nicht-religiösen» Gebäuden
für «religiöse Zwecke».
Wann soll die Gesetzesänderung in Kraft treten?
Hoffentlich werden diese neuen Vorschläge das gleiche Schicksal haben
wie die vorherigen, die nach ihrer Aufnahme in die jeweiligen parlamentarischen
Kommissionen und nach den kritischen Überprüfungen durch Menschenrechtsanwälte
und evangelische Organisationen einfach ohne weitere Aufmerksamkeit
zurückgelassen wurden. Ansonsten werden die erwähnten Partien im Herbst darauf
drängen.
Wie würde es für freikirchliche Gemeinden
aussehen?
Im Laufe der Jahre kämpften sie um Anerkennung. Sie würden nun rechtlichen
Beschränkungen ausgesetzt sein, die die «rechtlichen» Grundlagen für
antichristliche Verfolgung liefern könnten. Die Meinungs- und Gedankenfreiheit wird
vollständig abgeschafft, da der Staat in der Praxis nur denjenigen, die in
staatlich kontrollierten «theologischen» Schulen ausgebildet werden, die
Möglichkeit geben wird, zu predigen und zu lehren.
In der Tat werden die Kirchen zu Pseudokongregationen, zu einem Arm des
Staates für religiöse Dienste, aber ohne Sinn und Glauben.
Was bedeutet das für den
einzelnen Christen?
Definitiv
werden diese neuen Beschränkungen, wenn sie erlassen werden, Christen
stigmatisieren. Zweitens wird diese Art der Gesetzgebung nicht nur Christen, sondern
auch die politischen Grundrechte aller Menschen betreffen, denn man kann nicht
nur die Gedanken- und Versammlungsfreiheit der Gläubigen einschränken. Wenn man
einmal damit beginnt, die Vereinigungsfreiheit der Kirche einzuschränken, was
würde den Staat dann noch davon abhalten, alle anderen Arten von Gruppen und
Organisationen nur aufgrund ihrer Überzeugungen und ihres Gewissens
einzuschränken?
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Datum: 09.08.2018
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet