Gegen Armut statt gegen Abtreibung
«Es scheint so, als ob Abtreibung das einzige Thema auf der Welt sei», beginnt Jayson D. Bradley seinen Artikel über Armut. «Solange Politiker sagen, dass sie für das Leben sind, spielt kaum etwas anderes eine Rolle.» Nun ist der US-Pastor nicht für Abtreibung, aber er behauptet: «Wenn wir uns so um die Armen kümmern würden, wie Jesus es gewollt hat, dann hätte das einen deutlichen Einfluss auf die Zahl der beendeten Schwangerschaften.» Wie begründet er diese Behauptung?
20 Prozent aller Kinder sind arm
Bradley illustriert mit Zahlen aus den USA, dass dort rund ein Fünftel der Kinder in prekären Verhältnissen aufwachsen. Sie gelten als arm. Diese Zahlen sind denen in Westeuropa sehr ähnlich. Die Bertelsmann-Stiftung unterstreicht: «Mehr als jedes fünfte Kind wächst in Deutschland in Armut auf. Das sind 2,8 Mio. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.»
Bradley fragt daraufhin: «Wenn Christen sich auf Abtreibung konzentrieren, weil sie sie sich um Kinder sorgen, dann ist es an der Zeit, auch über Kinder nachzudenken, die in Armut gefangen sind.»
Viele Frauen, die abtreiben, sind arm
Während der letzten 20 Jahre haben die Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland kontinuierlich abgenommen – von 130'000 auf 100'000 pro Jahr. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl laut Bradley bei denjenigen Frauen gestiegen, die arm waren. So sagt er in Richtung der Kirchen: «Wenn wir eine Frau von einer Abtreibung abhalten, es uns aber egal ist, was mit ihr nach der Geburt des Kindes geschieht, dann haben wir schlicht und einfach versagt.» Liesse sich die Zahl der Abtreibungen vielleicht sogar verringern, wenn sich Christen stärker für die Armen einsetzten?
Strenge Gesetze scheinen unwirksam
Immer wieder fordern kirchliche Vertreter strengere Gesetze, die legalen Schwangerschaftsabbrüchen einen Riegel vorschieben – vielleicht ähnlich, wie sie gerade in Polen verabschiedet wurden. Doch Tatsache ist, dass liberale Staaten wie die Niederlande eine deutlich geringere Abtreibungsrate haben als die streng muslimisch geprägten Staaten südlich der Sahara.
Allerdings stimmt der Ansatz «je freier, desto weniger Abtreibungen» auch nicht. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche liegt schlicht an anderen Faktoren.
Ein Fokus auf Armut wirkt anti-polarisierend
Mit Blick auf die USA stellt Bradley fest, dass viele Evangelikale wegen der Abtreibungsfrage die Republikaner wählen. «Es ist die politische Karotte, die Christen vor die Nase gehalten wird, um sie zur Wahlurne zu locken», hält er fest. Mit einem starken Engagement für Arme könnten dagegen alle politischen Lager angesprochen werden. Bradley zieht als Fazit: «Letztlich können wir uns darauf konzentrieren, Abtreibungen zu beenden, und werden damit keinen Erfolg haben, oder wir können uns auf die Armut konzentrieren und in beiden Bereichen Fortschritte machen.»
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Datum: 25.11.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / patheos.com