Der Garten als Oase des Lebens
In deutschen Städten nehmen Ökofreaks ganze Landstreifen in Beschlag. Ist Gärtnern der Kontrapunkt zu unserem atemberaubend schnellen Leben? Der Gegenpol zu Digitalisierung und ständiger Erreichbarkeit? Die ehemalige Geschäftsführerin der Insel Mainau, Gräfin Sonja Bernadotte, formulierte, was vermutlich diesem neu entdeckten Bedürfnis zugrunde liegt: «Die Beschäftigung in der Natur, besonders im Garten, wird als Ausgleich zu den schnellen Kommunikationstechniken immer wichtiger; sie führt zur Entdeckung der Langsamkeit, zur Ruhe, Besinnung und Erholung; sie schafft Oasen in einer rasanten Welt.»
Genau das sagen und erleben die verschiedenen Menschen in Liestal BL, Interlaken BE und Rorbas-Freienstein ZH, die der neuen Lust des gemeinsamen Gärtnerns frönen und im Wochenmagazin ideaSpektrum beschrieben werden.
Ein Garten als Naturwerkstatt
Eric Lienhard (25) aus dem zürcherischen Rorbas-Freienstein lernte Landschaftsgärtner, studierte am TDS in Aarau Sozialdiakonie und arbeitet momentan in einem Sozialprojekt der Stadt Bülach. Zusammen mit drei anderen jungen Männern aus seiner christlichen Kleingruppe entwickelte er die Idee eines eigenen Gartens. Enthusiastisch machten sich die vier Männer vor fünf Jahren an die Gartenarbeit. Die Eltern eines Kollegen stellten ihnen Land – ungefähr 250 m² – zur Verfügung. Das Grundstück liegt am Hang, auf der einen Seite grenzt es an einen Rebberg, auf der anderen Seite beginnt der Wald. Ein ruhiger Ort, mit traumhafter Sicht in die Berge.
Lienhard bezeichnet den Garten als Experiment, als Lernfeld. Zwar brachten zwei Männer grünes Vorwissen mit und ein dritter ist Landwirt und studiert momentan Agrar-Wissenschaft. «Von Gemüseanbau hatten wir aber keine Ahnung», gesteht er. Die Startphase beschreibt er so: «Wir säten, wir düngten, wir kämpften gegen Unkraut und Schädlinge. Wir beobachteten unseren Garten, sammelten Informationen und zogen Schlüsse.» Von Anfang an war das Thema «Bewahren der Schöpfung» wichtig; doch was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet, erlebten sie erst in der Praxis so richtig.
Wilde, gesunde Vielfalt
«Ich versuchte, immer mehr aus der Natur, aus der Schöpfung abzuleiten, was auch in unserem Garten angewendet werden könnte», erklärt Eric Lienhard. Was hier in den letzten fünf Jahren entstand, ist kein klassischer Gemüsegarten. Zwar wachsen an der höchsten Stelle 18 verschiedene Tomatensorten, aber sonst sieht es hier nach einem wilden Durcheinander aus: Im Kräutergarten flattern unzählige Schmetterlinge, im Miniteich hüpfen Frösche, in einem ausgehöhlten Baumstamm hat sich ein Schwarm Wildbienen niedergelassen, Gemüse wächst zwischen Blumen, an einer anderen Stelle steht ein Aprikosenbaum. Auch wenn die jungen Männer – Frauen sind bisher noch keine dazugestossen – es nicht gross auf ihre Fahne schreiben, so wird hier Permakultur in Reinform angewendet.
Lienhard ist ein Tüftler. Sein neuestes Projekt dreht sich um die Madenzucht, eine Idee aus Indonesien. Die Maden zersetzen Speisereste, wandern über eine Rampe nach oben und fallen zu Boden. «Wenn die Kiste zum Beispiel in einem Hühnerhof platziert ist, kommen so die Hühner zu kleinen delikaten Snacks», beschreibt er mit einem breiten Grinsen.
Garten ist ein Treffpunkt
Aus einer mutigen, vielleicht auch ein bisschen verrückten Idee entstand in Rorbas der Verein «Chruut & Rüebli» mit 15 Aktivmitgliedern und rund 50 Gönnern – nicht alle sind Christen. Manche Freundschaften gehen zurück auf die gemeinsame Schulzeit. «Gewisse Beziehungen würden wohl nicht mehr bestehen, gäbe es das gemeinsame Projekt nicht», resümiert Eric Lienhard. Der Garten ist zu einem wichtigen Treffpunkt geworden. Lienhard ist zwei bis drei Mal pro Woche im Garten, andere etwas seltener. Der Samstag ist der eigentliche Gartentag des Vereins. Einer nimmt dann den stündigen Weg von Zürich nach Rorbas-Freienstein mit dem Velo unter die Räder. Man arbeitet im Garten, grilliert zusammen, bäckt im selbstgebauten Ofen Pizza, organisiert im Frühjahr und Herbst ein Fest, das offen ist für alle Interessierten aus dem Dorf. Dort stossen die jungen Leute mit «Chruut & Rüebli» auf viel Goodwill. Ihr Engagement im Dorf wird geschätzt. Sie organisieren einen Setzlingsmarkt und haben die Initiative für die Renaturierung einer Fläche ergriffen.
Ein Garten ist «männertauglich»
Ein weiterer Aspekt ist für Lienhard die «Männertauglichkeit» des Projekts: «Der Garten ist perfekt, um mit Männern ins Gespräch zu kommen.» Man sitzt sich nicht steif in einem Raum gegenüber, sondern ist gemeinsam aktiv. Dabei öffnen sich Männerherzen und lösen sich schweigsame Zungen; Seelsorge geschieht, ohne dass man(n) es merkt. Ein anderes Beispiel ist jener junge Mann, der sich zuerst für den Garten interessierte, später für die Kleingruppe und heute ist er ein Jesus-Nachfolger.Doch Eric Lienhard und seine Kollegen träumen noch weiter und noch grösser: Sie möchten gerne einen Bauernhof pachten. Das Haus könnten zwei bis drei Familien und vielleicht auch ein paar Leute, die sozial benachteiligt sind, bewohnen. «Wir möchten Landwirtschaft betreiben und einen Garten anlegen, der gross genug ist, damit es für die Selbstversorgung reicht», beschreibt er seinen Traum.
Lesen Sie den kompletten Artikel im Wochenmagazin ideaSpektrum 24-18.
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Datum: 25.07.2018
Autor: Helena Gysin
Quelle: idea Spektrum Schweiz