«Müssen wir uns bekehren?»
Wenn Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich gefragt wird, ob er selbst eine Bekehrung erlebt habe, antwortet er unumwunden mit «Ja». Wenn er vom Kirchenboten nach dem Datum gefragt wird, folgt die überraschende Antwort: «Gerade gestern.»
Tägliche Bekehrung
Er weicht damit nicht aus, sondern will deutlich machen, dass eine Bekehrung vor allem ein Perspektivenwechsel sei. So könne der Gesang einer Amsel plötzlich ein paradiesisches Erlebnis auslösen. Mit einer Bekehrung erfahre man «etwas unerhört Neues». Somit gebe es unterschiedliche Ebenen von Bekehrungen. Für Christen sei eigentlich eine tägliche Bekehrung normal: «Es ist hoffentlich unser tägliches Brot als Christenmenschen, dass wir uns ständig zurückorientieren auf die Hoffnung vom Reich Gottes, auf Jesus und den Heiligen Geist. Wie Luther vor 500 Jahren sagte: 'Busse ist ein tägliches und fröhliches Geschäft.'»
«Eine Gesamtrenovation meiner Existenz»
Damit will Kunz allerdings nicht ein grosses und in seiner Art einmaliges Bekehrungserlebnis relativieren. Er sagt dazu in einer Sprache, die Clichés vermeidet: «Das sind Momente, in denen ich so erschüttert werde, dass sich mein Orientierung- und Weltverständnis komplett neu ausrichtet. Es ist eine Gesamtrenovation meiner Existenz.»
An die Adresse von Landeskirchlern, die lieber von «religiöser Sozialisation» sprechen, sagt er, diese könne nicht allein darin bestehen, dass man nur nachspricht, was mir vorgesagt wird, sondern dass ich «mündig werde, Anstösse zur Neuorientierung bekomme und Entscheidungen treffe. Wer wie die Reformierten das 'selber denken' hochhält, will auch selber glauben.»
An die Adresse der Freikirchler sagt er: «Die Bekehrung ist keine religiöse Trophäe – sie ist meine existenzielle Antwort auf den Ruf Gottes, der weiterruft.»
Gibt es christliches Leben ohne Bekehrung?
Auf den Hinweis, dass eine Bekehrung religiös radikalisieren könne und somit auch Probleme in eine Ehe oder Familie auslösen könne, verneint Kunz das Phänomen nicht, formuliert aber ein Kriterium für eine biblisch basierte Bekehrung: «Die Frage ist doch, führt die Bekehrung zu einer sektiererischen Abkapselung oder befreit sie den Menschen zu einer Menschlichkeit, wie sie Jesus vorlebte.»
Auf die brisante Frage von Kirchenbote-Redaktor Tilman Zuber, ob christlicher Glaube überhaupt ohne Bekehrung dankbar sei, antwortet er wiederum klipp und klar: «Nein. Denn die Bekehrten fragen danach, was vor Gott heil macht, erfüllt und wieder ganz werden lässt, um in der Welt ein gutes Leben zu führen.»
In der gleichen Ausgabe erzählt der stellvertretende Chefredaktor der «Bild»-Zeitung, Daniel Böcking, wie er seine eigene Bekehrung erlebte.
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Datum: 08.06.2017
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / Kirchenbote